Heinrich Zille... er liebte großbusige Frauen und Kinder mit Rotznasen. Die Proletariergöre war ihm lieber als das Gouvernantenkind. Er kannte so ziemlich alle Kneipen Berlins, war unter Ganoven ebenso beliebt wie unter Künstlerkollegen.
Seine Modelle waren die Waschfrau, die Hure und der Taschendieb ...sein Atelier war die Straße...
Heinrich Zille... er liebte großbusige Frauen und Kinder mit Rotznasen. Die Proletariergöre war ihm lieber als das Gouvernantenkind. Er kannte so ziemlich alle Kneipen Berlins, war unter Ganoven ebenso beliebt wie unter Künstlerkollegen.
Seine Modelle waren die Waschfrau, die Hure und der Taschendieb ...sein Atelier war die Straße...
Mit der U 7 zum Karneval
Von Rolf Kremming
Was will der Olle mit dem leeren Kinderwagen in der U-Bahn? Der Wagen ist genauso alt wie er. Gefühlte 120. Er ist süß. Hält das Wägelchen, als könne es ihm jemand klauen. Dabei ist die Bahn rappevoll und niemand kann entkommen. Nicht mal die Dame im roten Kleid mit dem grünen Rennrad. Sie schaut ein w
Mit der U 7 zum Karneval
Von Rolf Kremming
Was will der Olle mit dem leeren Kinderwagen in der U-Bahn? Der Wagen ist genauso alt wie er. Gefühlte 120. Er ist süß. Hält das Wägelchen, als könne es ihm jemand klauen. Dabei ist die Bahn rappevoll und niemand kann entkommen. Nicht mal die Dame im roten Kleid mit dem grünen Rennrad. Sie schaut ein wenig blasiert durch das Abteil. Niemand beachtet sie. Nicht mal die Oma mit den Gesundheitsschuhen. Sie tippt was auf ihrem Smartphone ein. Dabei hält sie das Handy mit ausgestrecktem Arm weit von sich. Oma hat die Brille vergessen. Alle sind auf dem Weg zum Karneval. Nee, nicht nach Rio. Heute ist Brasilien am Hermannplatz. Ein Typ mit Blechblasinstrument steigt ein und gibt Töne von sich. Nee, nicht er selbst. U 7 als Probenraum. Wer hätte das gedacht? Die Töne sind seltsam, so als rolle eine Wasserwoge den Berg runter. Ich überlege gerade, ob das Blechding einen eigenen Fahrschein braucht. Aber das interessiert hier keinen. Mich eigentlich ooch nich. Berliner Straße steigt ein Pärchen ein. Beide mit Hut in Deutschlandfarben. Er trägt ein grünes Brazil-Shirt. Ich glaub, die wollen zur WM. Sie halt lustig kleine Füße, rotlackierte Fußnägel und trägt goldene Sandalen. Seine Füße stecken in echten Bergsteigerschuhen, knöchelhoch, dicke Wandersohlen aber wadenfrei. Ob das mit den beiden gut geht? Wenn schon die unteren Enden so unterschiedlich sind, wie soll das erst oben sein? Achtung Kurve, denke ich, dann ist es schon zu spät. Linker Wanderschuh trifft auf linke Goldsandalette. Perfekt getroffen. Eine Zehntelsekunde später ist der Unterschied auch oben angekommen. Du Trottel, schallt es durch das gelbe Wohnzimmer. Trottel schweigt. Wohl aus Erfahrung. Die Stille ist bedrückend. Ich beobachte den Fernsehschirm über mir. Mediamarkt bietet Kauf zu null Zinsen an. Der Wetterbericht verspricht vereinzelt Schleierwolken. Dann endlich ein paar Töne. Flaschen klappern in einer Plastiktüte. Da hängt ein Arm mit Tattoos dran. Daneben noch einer und noch einer und noch einer. Zusammen vier Arme. Das macht zwei Männer. Sie lächeln verlegen. Der kleine Toupetmann neben ihnen mit dem flotten Tuch am Hals summt ein Lied. Für einen Moment habe ich Angst, das Blechblasinstrument würde die Begleitmusik spielen. Ist schon lustig so eine Bahnfahrt. Besonders dann, wenn man sie einmal jährlich macht. Dann kommt einem alles neu vor, was jedem Monatskartenbenutzer oder Schwarzfahrer alltäglich erscheint. Der Dicke mit den kurzen Hosen und den strammen Waden lehnt lässig an der Stange. Zu lässig, finde ich. Der hat bestimmt keinen gültigen Fahrausweis. Ich übrigens auch nicht. Aber das bleibt unter uns. Bitte! Eigentlich wollte ich ja meiner Pflicht lt. gültiger Beförderungsordnung nachkommen. Doch am Automaten standen vier Engländerinnen, die mit dem Ding auf Kriegsfuß standen. Eine schaute mich schon fragend an. Da bin ich ganz schnell weg. Wie hätte ich ihnen die vielen verschiedenen Tarife erklären sollen? AB und ABC, Kurzstrecke, Tagesticket, Gruppentarif, Familienkarte, um nur einige zu nennen. Dunkelfahrer (Schwarzfahrer) haben eben ein helles Köpfchen.
Dann kommt eine Frau mit einer Leiter. Ehrlich! Sowas kann sich doch keiner ausdenken. Sieben Stufen, oben ein breiter Tritt. Vielleicht will sie die Glühlampen wechseln. Als sich ein Inder mit einem Karton voller Servietten durch die Massen drängelt, schimpft sie. Der Inder schwitzt. Das Pärchen links knutscht rum. Ist ja Karneval. Sie ist höchstens 15 und verdreht die Augen. Seine Hand nähert sich bedenklich ihrer Oberweite. Gerade flimmert über den Bildschirm die Werbung vom Krisendienst. Doch die beiden lassen sich nicht stören. Recht so! Oma hat inzwischen ihr Handy eingesteckt. Der Typ mit den Bergschuhen schaut heimlich in Ausschnitt der Blonden, die rechts unter ihm sitzt. Das Teil drüber ist kleiner als das Teil drunter. Und die beiden Teile da drunter wieder größer. Einfach ausgedrückt; ihre Brüste sind zu groß für den BH. Noch einfacher; sie hat Riesendinger. Möckernbrücke. Zwei dünne Frauen steigen ein. Mehr als dünn wäre auch nicht machbar. Der Zug ist voll. Der Mann links neben der kleinen Chinesin ebenfalls. Ich mag U-Bahnen. Sie zeigen mir das wahre Leben. Im Auto schimpft jeder vor sich hin und keiner hört es. Das ist hier ganz anders. Als der Volle der Chinesin zu nahe kommt, brüllt sie ihn an. Ming mang chung, oder so ähnlich. Keiner versteht sie. Nur der Volle. Erschreckt steht er auf, obwohl auch er kein Chinesisch kann...Am Südstern steige ich aus. Der Karneval kann weitergehn.
Lydia Benecke und die Psychopathen
Sie spricht so schnell, wie sie Auto fährt. Und das immer auf der Überholspur.
Ihr Lieblingswort heißt cool. Gleich danach kommt geil. Ihre Freunde sagen von ihr, es wäre seltsam, wenn sie etwas seltsam fände. Lydia Benecke ist eine faszinierende Frau. Aber Lydia Benecke ist noch mehr. Polnisches Flüchtlingskin
Lydia Benecke und die Psychopathen
Sie spricht so schnell, wie sie Auto fährt. Und das immer auf der Überholspur.
Ihr Lieblingswort heißt cool. Gleich danach kommt geil. Ihre Freunde sagen von ihr, es wäre seltsam, wenn sie etwas seltsam fände. Lydia Benecke ist eine faszinierende Frau. Aber Lydia Benecke ist noch mehr. Polnisches Flüchtlingskind, aufgewachsen in einer Hochhaussiedlung im Bottroper Ghetto. Umgeben von Dealern, Alkoholikern und Menschen, die wahrscheinlich nie die oberste Sprosse des Lebens erklimmen werden. Im Gegensatz zu vielen anderen aus Ghetto und kaputter Familie, hat es die 31jährige nach oben geschafft. Sie ist Deutschlands bekannteste Kriminalpsychologin. Spezialgebiet: Psychopathen. „Ich weiß, wie diese Menschen ticken. Ich komme wie viele von ihnen aus dem gleichen Milieu, habe mich jedoch für einen anderen Weg entschieden. Ich kann denken und fühlen wie sie. Aber ich kann nicht so handeln.“ Ihr Lieblingszitat von Edith Piaf: Nutze deine Fehler und Schwächen und mach daraus etwas Gutes.
Lydia Benecke mag Latte macchiato, findet das Leben bunt, trägt aber am liebsten schwarze Kleidung. Sie hat ein Dutzend Tattoos, bekennt sich zur Gothic-Szene, ist Jugenschutzbeauftragte in der deutschen SM-Szene und als psychologische Kolumnisten bekannt. Ach ja...am liebsten liest sie Vampir- und Horrorromane. Nur mit der Twilight-Saga kann sie nichts anfangen. „Vampire glitzern nun mal nicht.“ Mit anderen Worten: Sie ist weit davon entfernt, das zu sein, was andere als „normal“ bezeichnen. „Ich bin ein Skeptiker. Ich brauche auf alles eine wissenschaftliche Antwort. Ich wäre frustriert, wenn ich mit 80 noch keine Antworten gefunden hätte.“ Eine ihrer wichtigsten Fragen heißt: An welcher Stelle wird ein Mensch böse und ein anderer nicht? Werden Menschen böse geboren oder entscheiden sie sich, böse zu sein? „Beide Fragen kann ich mit Nein beantworten. Es gibt Eigenschaften, die einige Menschen stärker entwickeln und denen es dadurch leichter fällt, grausam zu handeln. Doch es gibt auch viele, die zerstörerische Charaktermerkmale in sich tragen und niemals eine Straftat begehen. Manche nutzen sie sogar beruflich. Menschen mit vielen Eigenschaften eines Psychopathen werden auffällig gerne Chirurgen, Journalisten, Juristen und Manager haben viele Eigenschaften eines Psychopathen in sich. Unter anderen Umständen hätte aus dem Manager vielleicht ein Serienkiller werden können. Eine klare Formel für das Böse gibt es eben nicht. Auch ich habe Anteile in mir, sonst könnte ich meinen Beruf nicht ausüben. Ich betrachte Täter und Tat mehr rational als gefühlsmäßig. Ich leide nicht mit und werde auch nicht von Wut, Entsetzen, Traurigkeit oder Wut gepackt. Ich zerlege den Menschen in psychologische Bausteine. Würde ich bei der Betrachtung schwerer Straftaten viel empfinden, könnte ich vor Albträumen wohl nicht schlafen. Ich arbeite mit den Tätern vielleicht ähnlich wie ein KFZ-Mechaniker, der sich fragt, welches Teil am Auto war kaputt, damit der Unfall passieren konnte. Aber ich vergesse dabei nie die persönliche Schuld des Täters. Er hat sich für das Verbrechen entschieden, obwohl er eine andere Entscheidung hätte treffen können.“ Für die Kriminalpsychologin sind Verbrechen wie Logikrätsel, ähnlich einem SUdOku. Welche Eigenschaften des Opfers und welche Situation standen in welchem Zusammenhang, dass der Täter zum Zeitpunkt X die Tat begangen hat? Rätsel lösen, nach wissenschaftlichen Erklärungen suchen, um zu helfen. Auch das ist Lydia Benecke.
„Schon als Kind war ich recht ungewöhnlich. Während die anderen in der Sonne herumtobten, legte ich mir ein Kriminalarchiv an und schnitt Mordartikel aus den Zeitungen meines Opas heraus. Ich konnte Pferden und Kinderdiscos nichts abgewinnen. Ich war eine Außenseiterin und wollte wohl deshalb die Bösen und Verrückten besser verstehen.“ Mit elf hatte sie ihre erste Begegnung mit Hannibal Lecter, dem Psychopathen aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“. „Nicht gerade ein Kinderfilm. Doch bei mir war einiges anders. Damals stand für mich fest, Kriminalpsychologin zu werden.“
Psychopathen sind charmante Bestien. Es sind Menschen mit zwei Gesichtern. Sie können jeden mit ihrem Charme um den kleinen Finger wickeln und eine Minute später grausam töten. Sie haben kaum Gefühle, können sie jedoch gut vortäuschen. Deshalb heißt es oft: Der war so nett. Er hat der alten Dame doch immer die Tasche hoch getragen, freundlich gegrüßt und die Tür aufgehalten. „Mein Beruf stößt oft auf Unverständnis. Wie können Sie nur dazu beitragen, dass ein Kinderschänder oder Mörder nicht angemessen bestraft wird? Eine Diskussionsgrundlage auf jeder Party. Doch ich glaube, dass erst das Verstehen solcher Taten die Grundlage für einen vernünftige Prävention ergibt.“ In fast allen Großstädten gibt es inzwischen Projekte wie „Kein Täter werden“, in denen sich Männer freiwillig um eine Therapie bemühen, weil sie befürchten, sie könnten Verbrechen begehen. Diese Projekte zeigen, wie wichtig Lydia Beneckens Forschungsarbeiten sind und wie sehr es der Gesellschaft nützt, dass es Menschen gibt, die weniger gefühlsbetont mit diesen schrecklichen Taten umgehen können.
„Der erste Täter in meiner Ausbildungszeit hatte seine Frau getötet. Zur Begrüßung schüttelte ich die gleiche Hand, mit der er seiner Frau ein Kissen ins Gesicht gedrückt und sie erstickt hatte. Der Mann hatte ein nettes Lächeln. Doch der Blick in seine Akte zeigte mir auch seine andere Seite.“ In einem gemeinsam mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke geschriebenen Buch, „Aus der Dunkelkammer des Bösen“, schreibt sie über Möglichkeiten, wie mehr Verständnis helfen kann, Taten früher aufzudecken und Menschen zu helfen, bevor sie zu Tätern werden.
Die zierliche Kölnerin stellt in ihrem neuen Buch „Auf dünnem Eis. Die Psychologie des Bösen“ ein Baukastensystem (nach der Lehre von Robert Hare) vor, mit dem man Psychopathen im Vorfeld besser erkennen kann. Sie erklärt auch, wie sehr sich die Innenwelt schwerer Straftäter von der normaler Menschen unterscheidet.
„Außerdem laufen viele Menschen mit pädophilen Gedanken herum, die aber nicht zu Tätern werden. Es müssen immer mehrere Elemente zusammenkommen, bevor die Gedanken auch die Hände steuern. Täter reden sich ihre Handlungen schön. Ähnlich wie jemand, der eine Ausrede sucht, um seine Diät zu unterbrechen. Erst in der Therapie lernen sie, ihre entsetzlichen Taten mit unseren Augen zu sehen. Oft brechen sie dann zusammen und sind über sich selbst entsetzt. Sie sind eben nicht nur böse. Sie haben auch gute Anteile.“
Viele Psychopathen begehen auch nur deshalb keine Verbrechen, weil sie nie in eine enthemmende Situation geraten. Lydia Benecke lächelt, dann bringt sie ein statistisch bewiesenes Argument. „Seitdem das Scheidungsrecht einfacher geworden ist und Frauen nicht mehr so stark in wirtschaftlicher Abhängigkeit sind, werden auch weniger Ehemänner umgebracht. Da stellt sich doch die Frage, wie viel Frauen durch Deutschland laufen, die nur deshalb nicht zur Gattenmörderin geworden sind? Für sie gibt es eben keinen Grund zum Mord. Sie gehen heute lieber zum Rechtsanwalt.“
Das neue Buch von Lydia Benecke: Auf dünnem Eis. Die Psychologie des Bösen. Lübbe Verlag 14.99 Euro
http://www.benecke-psychology.com/
Landarzt Amin Ballouz
Er wäre gern Künstler geworden. Holzschnitzer, Bildhauer oder Maler. Oder einer, der Gebäude verhüllt wie Christo. Pilot oder Rennfahrer hätte ihm auch gefallen. Zuzutrauen wäre ihm jedenfalls alles. Doch Amin Ballouz wurde Arzt. Einer von denen, die lieber ein paar Stunden mehr arbeiten als zu wenig. Der 53jährige Libane
Landarzt Amin Ballouz
Er wäre gern Künstler geworden. Holzschnitzer, Bildhauer oder Maler. Oder einer, der Gebäude verhüllt wie Christo. Pilot oder Rennfahrer hätte ihm auch gefallen. Zuzutrauen wäre ihm jedenfalls alles. Doch Amin Ballouz wurde Arzt. Einer von denen, die lieber ein paar Stunden mehr arbeiten als zu wenig. Der 53jährige Libanese ist ein freundlicher Mann. Sein Lachen schallt durch die Praxisräume und steckt an. Sogar die Patienten schmunzeln. Auf der Fensterbank vier Orchideen, auf dem Schreibtisch eine Minipalme, im Regal ein paar Fachbücher und Fotos seiner Familie. Vier Kinder hat er, zwischen 18 und 21. Er hört geduldig zu und nimmt sich die Zeit für jeden Patienten, die nötig ist. Nur eins kann er nicht leiden: bürokratischen Papierkram. „Nach zwölf Stunden Praxis und Hausbesuchen auch noch den oftmals unnötigen Schriftkram erledigen, das stößt bei mir an Grenzen.“ 1 Meter 7o ist er groß und flink wie ein Wiesel. Die braunen Augen leuchten und eine in der Mitte auseinanderziehbare Brille ist sein Markenzeichen. Eine Spezialanfertigung, wie er betont. Und dass die Krawatte oft schief hängt, macht ihn nur noch sympathischer. Einen wie ihn nennt man „Hans Dampf in allen Gassen“. Er kam, sah und siegte. Das war vor eineinhalb Jahren. Seitdem ist er ein Uckermärker, der uckermärkerischer nicht sein kann. Sozusagen ein „Liebling Schwedt“. Wo Tausende die Koffer packten und für immer abreisten, hat er sein Zelt aufgeschlagen. Genaugenommen sogar zwei Zelte. Den Vormittag verbringt er in seiner Schwedter Praxis, nachmittags warten die Patienten in Gaartz auf ihn. 22 Kilometer Fahrt und zwischendurch noch Hausbesuche.
Eigentlich wollte der Doc in Berlin eine Privatklinik eröffnen. So mit allem Schnickschnack drum und dran. Das war vor drei Jahren, nachdem er fünf Jahre als Landarzt in Schottland gearbeitet hatte und sich die Frage stellte, ob er auf immer und ewig Schotte bleiben wolle. „Die Antwort kam mir Traum und ich zog nach Deutschland zurück. Die Kinder sind groß und ich wollte noch einmal neues beginnen.“ Eine Kollegin erzählte ihm vom Ärztemangel in Brandenburg und wie dringend man dort Mediziner suchte. Fast 200 Hausärzte fehlen und 2020 werden es mehr als doppelt soviel sein. Bisher findet man noch nicht einmal Nachfolger für die Praxen, die aus Altergründen aufgegeben werden. Amin Ballouz Interesse war geweckt und als er nach Schwedt kam, war die Privatklinik vergessen. „Ich hatte ein halbes Jahrzehnt in Schottland gearbeitet und war den Landarztbetrieb gewohnt. Vieles erinnerte mich hier an Schottland. Nur das Ungeheuer von Loch Ness fehlte noch. Mein Bauch sagte: hier bleibst du.“
Er war 16, als seine Familie vor den Bomben aus Beirut flüchtete. Mit 17 machte Amin in Syrien Abitur, dann kam er nach Deutschland. Das Medizinstudium absolvierte er in Halle und Aachen, in Düsseldorf machte er den Facharzt. Danach spezialisierte er sich zusätzlich auf Naturheilkunde und ließ sich in Peking zum Akupunkteur ausbilden. „Schon als Schüler hatte ich meiner Tante oft in der Praxis geholfen. Sie war Nuklearmedizinerin und ich sortierte die Patientenakten. Das gab jedes Mal ein gutes Taschengeld. Meine Mutter hatte mir sogar einen weißen Kittel genäht und alle nannten mich den kleinen Doktor.“
Ballouz ist einer von denen, die niemals ruhen und in einem Monat soviel erleben, wie andere ein ganzes Leben lang. Im Wartezimmer hängen Zeitungsausschnitte eines Notarzteinsatzes in Spitzbergen. Im Juni 1989 war das russische Kreuzfahrtschiff Maxim Gorkiy im Nordmeer bei Spitzbergen in ein Treibeisfeld gefahren und drohte zu sinken. „Da ich an der Düsseldorfer Uniklinik arbeitete, dachte ich natürlich, Spitzbergen sei ein Vorort von Düsseldorf. Erst am Flughafen wurde mir klar, dass es eine längere Reise werden sollte.“ Nach knapp vier Stunden Flug kam die nächste Überraschung. Es war keine Gangway da. „Weil ich auf der schaukelnden Alu-Leiter Angst hatte, mussten mich zwei Feuererehrleute nach unten bringen.“
Heute fliegt der 53jährige zwar nicht mit einem Airbus zu den Hausbesuchen, ein 28 Jahre alter Trabbi tut es auch. Dass der dritte Gang streikt und nur mit Gewalt nicht reingeht, stört den Doktor wenig. Und dass er vor kurzem mit 65 geblitzt wurde, zeigt ihm, wie schnell so ein alter Zweitakter noch ist. „Das teuerste an meinem Auto ist das Navi“, lacht er und winkt im Vorbeifahren einigen Patienten an der Bushaltestelle zu. Neulich hat er sich mit einem Freund zusammen ein altes Flugzeug vom Schrottplatz gekauft. Dass er heute damit über die uckermärkischen Wiesen fliegt, ist seinem technischen Geschick zu verdanken. Aber nicht nur in der Luft liebt Dr. Ballouz das Antike. Fünf Oldtimer hat er sich eigenhändig zusammengebastelt und aufpoliert. Sein Lieblingsmodell ist ein alter DKW von 1936. Mit dem will er dieses Jahr eine Ralley fahren.
Aber der Doc ist nicht immer ein bequemer Arzt. Da kann es schon mal passieren, dass einer mit guten Worten aber nicht mit bunten Pillen versorgt wird. „Menschen müssen lernen, Verantwortung für sich zu übernehmen und nicht bei jedem Wehwehchen die Bettdecke über den Kopf zu ziehen. „Oft ist ein Gespräch wirkungsvoller als Tabletten. Mehr Bewegung und weniger Essen hat noch nie geschadet und statt Bier lieber Mineralwasser. Das ist erholsam für die Leber. Vor dem Fernseher sitzen und Chips in sich hineinschaufeln ist jedenfalls das Gegenteil von guter Ernährung. Ich kann nur jedem empfehlen mit dem Rad den Deich entlang zu fahren. Das bringt den Kreislauf in Schwung, verbrennt Kalorien und entspannt ungemein.“
Seine Praxen sind auf dem neuesten Stand der Technik. Lungenfunktionstest, EKG oder Ultraschalluntersuchungen. Er und seine vier Helferinnen geben ihr Bestes. Er besitzt sogar ein tragbares Ultraschallgerät. „So etwas gibt es noch nicht einmal in der Charite“, verkündet er stolz und seine braunen Augen leuchten, als hätte er gerade ein Weihnachtsgeschenk ausgepackt.
Wer als Arzt Landluft riechen möchte, für den gelten andere Maßstäbe als in einer Großstadtpraxis. Beim Hausbesuch bei der Oma kann es vorkommen, dass die Bauchschmerzen des Enkels und der kaputte Daumen des Vaters gleich mit verarztet werden. „Wenn man bedenkt, dass es Patientin gibt, die 40 Kilometer entfernt wohnen, ist das auch kein Wunder. 80 Kilometer für einen Hausbesuch. Das kann sich ein Arzt in Berlin überhaupt nicht vorstellen. Nach dem Motto: Ist der Doktor erst Mal da, kann er gleich die ganze Familie versorgen.“
Oft sieht man um Mitternacht noch Licht in seiner Gaartzer Wohnung. Dann malt der Doktor oder stellt Holzschnitte her. Ein Leben ohne Kunst kann er sich genauso wenig vorstellen, wie ein Leben ohne seinen Beruf. Ein paar seiner Werke wurden neulich versteigert. Vom Erlös bekam die Freiwillige Feuerwehr neue Wasserschläuche. Sein neuester Holzschnitt heißt: Ich bin ein Gaartzer.
Im letzten Monat hat er sogar einen Oldtimerclub und einen Karnevalsverein gegründet: Gartz Alaaf! „An Weiberfastnacht ist in der Praxis die Hölle los. Da gibt es Sekt-Transfusionen und jede Menge Pfannkuchen und am Rosenmontag ziehen wir mit einem eigenen Wagen durch die Stadt“, lacht der Doc. „Da wird gefeiert, bis das Fieberthermometer platzt.“
Mörderseelen...
Aus den Akten des Gerichtsgutachters Dr. habil. med. Werner Platz
Folge 01: Gerichtsgutachter Werner Platz
„Jeder kann zum Mörder werden. In jedem schläft ein Tier, das unerwartet ausbrechen kann. Niemand ist nur gut und niemand ist nur böse.“ Dr. Werner Platz, forensischer Psychiater am Vivantes Klinikum Berlin und Gutachter in
Mörderseelen...
Aus den Akten des Gerichtsgutachters Dr. habil. med. Werner Platz
Folge 01: Gerichtsgutachter Werner Platz
„Jeder kann zum Mörder werden. In jedem schläft ein Tier, das unerwartet ausbrechen kann. Niemand ist nur gut und niemand ist nur böse.“ Dr. Werner Platz, forensischer Psychiater am Vivantes Klinikum Berlin und Gutachter in zahllosen Mordprozessen, weiß wovon er spricht. Seit mehr als 30 Jahren lebt er mit dem Grauen menschlicher Tiefen...
Da gab zum Beispiel den unauffälligen Bankangestellten, der freundlich und korrekt die Kunden bediente, ein beliebter Kollege war und nie Anlass zu Klagen gab. Bis er eines Tagen seinem Vermieter mit einem Beil den Schädel spaltete, weil der mit der Renovierung der Wohnung nicht einverstanden war. „Immer wieder hatte der Hauswirt etwas auszusetzen. Einmal war es die Decke im Wohnzimmer, später die Scheuerleisten im Flur und als er beim dritten Mal an der Küchenwand rummäkelte. nahm der Mieter das Beil und schlug zu. Soviel zum Thema: In jedem Menschen steckt ein Mörder. Es kommt immer darauf, wo seine Reizschwelle liegt.
Bei der Frage nach seinem ersten Fall, schmunzelt Werner Platz. Es war Wolfgang Neuß, einer der berühmtesten Kabarettisten Deutschlands. „Als ich ihn persönlich kennenlernte, war er kaum noch mit dem Mann auf der Bühne zu vergleichen. Der Haschischkonsum hatte seine Spuren hinterlassen. Im Gesicht und auch in seinem Geist.“
Die meisten Fälle allerdings waren weniger zum Schmunzeln. Er saß einem achtfachen Mörder gegenüber, sprach mit Spielsüchtigen, die Haus und Hof verloren und in die Firmenkasse gegriffen hatten. Er redete stundenlang mit einem Elternmörder, der ihm noch Jahre nach der Verurteilung Briefe schrieb und beteuerte, wie sehr er ihn schätze.
Ganz entgegen der allgemeinen Erwartungen hat Werner Platz einen geruhsamen Schlaf. Meistens jedenfalls. „Es gibt natürlich Fälle, die gehen an meine Grenzen. Aber niemals darüber hinaus. Alles andere wäre unprofessionell. In solchen Fällen habe ich immer die Möglichkeit, mich mit Kollegen auszutauschen und mir Rat und Unterstützung zu holen.“
Privat Dozent Dr. med. Werner Platz, Arzt für Nervenheilkunde, sitzt hinter einem Schreibtisch voller Akten, das Telefon in der linken Hand, lächelt und macht Notizen. Er ist ein ruhiger Mann, strahlt Verständnis aus und man kann sich nicht vorstellen, dass er jemals laut wird. Er ist einer, der nie den Überblick verliert.
In mindestens 3000 Seelen hat er bisher geblickt, Seelen, die mörderischer nicht hätten ticken können. Er tauchte in die Tiefen menschlichen Elends, in unvorstellbare Fantasien und Gehirne voller Abscheulichkeiten. Hunderte von Tätern haben seinen Weg gekreuzt, ihm gegenüber gesessen. Geredet oder geschwiegen. Er hat sie beobachtet und ihnen zugehört, ihre Taten jedoch nie bewertet. „Für mich gibt es kein Gut und kein Böse. Das sind lediglich zwei Seiten desselben Menschen. Der Täter muss die Gewissheit haben, dass ich eine neutrale Instanz bin und ihn nicht verurteile. Egal, was er auch getan hat. In jedem Menschen steckt ein Stück Tier, das in bestimmten Situation nicht mehr gebändigt werden kann und ausbricht.“
Sein Büro in der Psychiatrischen Institutsambulanz II liegt inmitten eines riesigen Parks, zwischen Maßregelvollzug und Flüchtlingsunterkünften in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Im Volksmund „Bonnies Ranch“ genannt. Die erste Irrenanstalt im Großraum Berlin wurde am 6. Februar 1880 eingeweiht und die Patienten mit Pferdewagen aus den umliegenden Krankenhäusern eingeliefert.
In der psychiatrischen Ambulanz war es heute mal wieder besonders voll. Russen, Griechen und Türken sind es, die Dr. Platz in der interkulturellen Institutsambulanz aufsuchen. Er und sein Team (fünf Ärzte und sieben Psychologen) kümmern sich im Haus 20 um Migranten, die oft nicht einmal richtig deutsch sprechen können. Werner Platz ist ein Mann, der selten schweigt. Lieber den Mund aufmacht, als Gefahren unter den Teppich kehrt. Platz will nicht nur Täter begutachten; er will auch vorbeugen und warnen. Zum Beispiel vor der immer häufiger auftretenden Spiel-, und Internetsucht und dass sich Kinder und Jugendliche regelrecht „blöd“ kiffen. Er ist ein unkonventioneller Mann, der in erster Linie an das seelische Wohl der Patienten denkt und Bürokratie schon mal Bürokratie sein lässt. So ließ er auch eine „Schummelei“ durchgehen, damit ein 85jähriger aus Russland die Prüfung für seinen Angelschein bestand. „Angeln war sein Hobby und nur weil er nicht genug deutsch sprach, sollte er nicht mehr am See sitzen dürfen? Das Angeln hat seinen seelischen Zustand merklich verbessert. Mehr als es jedes Medikament gekonnt hätte.“ Auch zum Fall der 15jährigen Josi, die mit ihrem 33 Jahre älteren Onkel Gerrit H. durchbrannte, hatte Werner Platz etwas zu sagen. „Ich sehe pädophilie Neigungen. Er wendet sich einem Kind ohne jegliche Schuldgefühle zu. Wir nennen das identifikatorische Wunscherfüllung. Es ist eine Art Midlife-Crisis, in der Männer so ab 45 wieder jung sein wollen und glauben durch die Beziehung zu einem jungen Mädchen ihr eigenes Alter aufhalten zu können. Sie hält es für die große Liebe, während er sie in Wirklichkeit nur benutzt.“
Doch auch politische Täter haben sich vor ihm „ausgezogen“. Willi Stoph, Erich Mielke und eine DDR-Ärztin, die wegen Mordes an einer Patientin in der NS-Zeit angeklagt war.
Mit zwölf wusste der Berliner Kaufmannssohn, dass er Arzt werden wollte. Doch nach dem Abi lernte er erst einmal Drogist. Danach Medizinstudium, dann ging er für fünf Jahre nach England und erforschte neue Anwendungsgebiete von Antibiotika. Dann die Doktorarbeit über Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie. „Für mich war es immer wichtig, auch über den Tellerrand des eigenen Fachs zu schauen. Wer ein breites Wissen hat, versteht Zusammenhänge besser. Doch mein Herz schlug damals schon für die Psychiatrie.“ Später Facharztausbildung zum Psychiater und Neurologen und Weiterbildung zum Forensiker. Spezialgebiet transkulturelle Psychiatrie. „Neben den ererbten Eigenschaften hat die Umwelt einen großen Anteil an der Entwicklung eines Menschen. Ein Moslem hat andere Ansichten über die Ehe und über Frauen als ein Deutscher. Das soll auf keinen Fall Ehrenmorde entschuldigen. Aber vielleicht zu besserem Verständnis beitragen. Die russische Seele tickt anders als die skandinavische, die griechische wieder anders als die afghanische. Mir ist es wichtig, den Menschen in seinem kulturellen Umfeld zu sehen und zu verstehen. Vietnamesen fühlen sich schneller allein und suchen Gruppenkontakt. Deshalb neigen Täter aus diesem Bereich auch eher zur Bildung einer kriminellen Vereinigung. Bande heißt für sie Schutz. Und Schutz bedeutet ein angstfreieres Leben.“
Es ist kurz nach 21 Uhr. Werner Platz hat sich die Krawatte abgebunden und auf einen Bügel in den Schrank gehängt. Er ist der Letzte, der das Haus verlässt. Wie so oft...
Morgen lesen Sie: Acht Morde für den Barmherzigen
Mein Balkon ist Radio und Fernseher zugleich. Manchmal höre ich Stimmen und manchmal sehe ich auch die richtigen Bilder dazu. Jetzt läuten gerade die Glocken der katholischen Kirche, ohne Bild natürlich. Es ist Sonntagmorgen. Die polnische Gemeinde ist auf dem Weg zu ihrem Herrgott. Jetzt mit Bild. Der Blick in die Hasenheide erinnert mich an meine
Mein Balkon ist Radio und Fernseher zugleich. Manchmal höre ich Stimmen und manchmal sehe ich auch die richtigen Bilder dazu. Jetzt läuten gerade die Glocken der katholischen Kirche, ohne Bild natürlich. Es ist Sonntagmorgen. Die polnische Gemeinde ist auf dem Weg zu ihrem Herrgott. Jetzt mit Bild. Der Blick in die Hasenheide erinnert mich an meine Ki...nderzeit. Da hatte ich eine Sonntagshose und ein Sonntagshemd. Und wehe, ich wollte die Sachen mal am Freitag oder Mittwoch anziehen. Ach ja, beim Essen musste ich immer die Hände auf dem Tisch lassen und durfte mich nie mit den Ellenbogen abstützen. Mein Gottchen, ist das lange her. Auch die polnischen Frauen und Männer flanieren im Sonntagsstaat über den Weg. Direkt unter meinem Balkon vorbei. Bild und Ton zur gleichen Zeit. Das heißt, ich höre zwar ihre Stimmen, verstehe aber kein Wort. Polnisches TV sozusagen. Leichten Schrittes wandeln die Gläubigen den Weg entlang. Die Frauen im schicken Outfit, die Männer mit Anzug und Krawatte. Eine Dame trägt ein Hütchen mit einer Blume obendrauf. Sieht schick aus. Sie trägt einen kurzen Rock und hat lange Beine. Sieht noch schicker aus. Ein Hund hebt das Bein, die Glocken hören auf zu läuten. Ein Zusammenhang besteht wohl eher nicht. Die Dealer unter meinem Balkon sind noch nicht da. Sie schlafen noch.
Gerade donnert ein Flugzeug über die Häuser hinweg. Wo will das Ding bloß hin? Ist der BER etwa schon in Betrieb und ich habe nichts davon bemerkt? Unwahrscheinlich. Apropos BER. Ich tausche einen Blick mit der Schnecke, die an der Hauswand hoch gekrochen ist und mich anlächelt. Sie hat Glück, dass ich im 1. Stock wohne, sonst wäre sie wohl einige Jahre mehr unterwegs gewesen. Was das mit dem Flughafen zu tun hat? Ich stelle mir das so vor. Wowi und Schneckchen haben eine Wette abgeschlossen. Wer ist schneller wo. Wowi in der Luft oder Schneckchen bei mir im 1. Stock. Von Wowi noch keene Spur. Schneckchen lächelt immer noch. Ziemlich spöttisch, wie ich meine.
Nach 44 Jahren: Ein Profiler geht in Rente
Petermann ist ein ruhiger und geduldiger Mann. Manchmal könnte man ihn sogar schweigsam nennen. Sein nachdenkliches Gesicht hat etwas von Unnahbarkeit und freundlicher Einladung zugleich. Petermann ist ein Mensch, den man nicht so schnell durchschaut. Man weiß selten, was gerade hinter seiner Stirn vorge
Nach 44 Jahren: Ein Profiler geht in Rente
Petermann ist ein ruhiger und geduldiger Mann. Manchmal könnte man ihn sogar schweigsam nennen. Sein nachdenkliches Gesicht hat etwas von Unnahbarkeit und freundlicher Einladung zugleich. Petermann ist ein Mensch, den man nicht so schnell durchschaut. Man weiß selten, was gerade hinter seiner Stirn vorgeht. „Der Beruf hat mich verändert“, sagt er und zeigt dabei wieder das nachdenkliche Gesicht. „Ich frage mich fast immer, warum erzählt mir dieser Mensch gerade das? Was bezweckt er damit?“ Mit dieser Methode des Denkens ist der Profiler des LKA Bremen erfolgreich geworden und gehört zu den Besten seiner Zunft. Einige sagen sogar, er wäre es. Petermann schmunzelt.
Auf den ersten Blick sieht er aus wie Colombo. Da ist dieser lange, 30 Jahre alte Trenchcoat, und da sind die Gesten. Das Hochheben der Hand beim Überlegen. Der misstrauische Blick. Nur die Frisur hat wenig Ähnlichkeit mit der des amerikanischen Detektivs. Axel Petermann ist in real das, was Colombo im Film spielt. Er war nie der sture Beamte und handelte oft unorthodox. Wie im Fall des toten dreijährigen Mädchens, das sich beim Spielen versehentlich erhängt hatte. Der Vater weigerte sich, seine Tochter in die Gerichtsmedizin überführen zu lassen und ertränkte seinen Kummer mit Wodka. „Eine Lösung wäre gewesen, es mit Gewalt durchzusetzen. Doch das wäre die denkbar schlechteste gewesen.“ Also setzte sich Petermann auch auf das Sofa und rauchte, trank und redete mit dem ihm. Schließlich trug der Vater sein Kind selbst zum Leichenwagen. „Noch heute läuft der Film in mir ab, wie er seine Tochter in den Sarg legte und danach seine weinende Frau in die Arme nahm.“ Ein Akt der Menschlichkeit nannte es der Geistliche. Einen im Dienst trinkenden Kripomann, nennt es das Gesetz.
„Oft sieht die Realität eben anders aus, als es auf der Polizeischule gelehrt wird. Es gibt Geschichten im wirklichen Leben, die würde keiner glauben, wenn er sie im Fernsehen sähe.“ Zum Beispiel der Fall der erstochenen Frau, der vom Täter noch das rechte Ohr abgeschnitten wurde. „Den Mann haben wir schnell gefasst, doch zum abgeschnittenen Ohr sagte er nichts. Um die teilweise irrealen Taten zu begreifen, frage ich die Täter im Nachhinein noch einmal zu ihren Motiven oder zu den Taten anderer. Denn kein normaler Mensch kann wirklich verstehen, was einen Menschen dazu treibt, so unmenschlich zu handeln. Nur sie selbst kennen die Antwort.“ Beim Ohrenabschneider musste der Bremer zehn Jahre warten. „Ich fragte einen dreifachen Frauenmörder, ob er eine Erklärung dafür hätte. Seine Antwort: Da hat ihm jemand nie zugehört. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Nach der Verhaftung erzählte er mal, dass seine Mutter nie ein Ohr für seine Sorgen hatte.“ Wie gesagt, Petermann ist ein geduldiger Mensch und kann warten. Er braucht Nähe zu den Tätern, er will, dass sie reden, erklären und ihm helfen, die Taten nachzuvollziehen. Doch das schlaucht, geht an die eigenen Nerven. „1000 Tote sind genug. Ich werde bald 62 und gehe nach fast 44 Jahren in den Ruhestand.“ Und wieder macht er sein nachdenkliches Gesicht. Er möchte Bücher schreiben und Angehörigen helfen, längst vergangene Taten aufzuklären. Vielleicht wird sogar eine Fernsehserie draus. Erfahrungen als Berater des Bremer Tatort-Teams hat er jedenfalls genug. „Aber erstmal werden wir mit unseren drei Söhnen und ihren Freundinnen unseren 30jährigen Hochzeitstag in Istanbul feiern und kein Mord wird uns dort stören“, freut sich Ehefrau Anna. Sie ist Physiotherapeutin für Kinder und ein fröhlicher Mensch. Doch nicht alle Dinge im gemeinsamen Leben fand sie auch wirklich lustig. Zum Beispiel, als es morgens um vier an der Tür klingelte und eine blutüberströmte nackte Frau vor ihr stand. „Es war eine überfallene Prostituierte und die meinen Mann von einem früheren Fall her kannte.“
Viermal in der Woche schwitzt Petermann im Sportstudio und geht anschließend mit Hund Salina spazieren. „Beim Sport und in der Natur habe ich die besten Einfälle. Ständiges Überlegen bringt oft nichts. Das Gehirn dreht sich immer nur im Kreis. In der Ruhe dagegen kommen Bilder und Gedanken, die tief verborgen sind.“
Das Böse ist überall und jeder Mensch kann Gutes aber auch Böses tun. Das weiß Axel Petermann aus Erfahrung. „Damit das Böse mir nicht zu nahe kommt, merke ich mir grundsätzlich keine Opfernamen. Ich schreibe sie in ein kleines Heft, das ich für solche Zwecke immer in meinem Trenchcoat habe. Nachdem ich monatlang Albträume hatte, habe ich meine Fälle auch mit mehr Abstand betrachtet. Bei meinem ersten Einsatz als junger Polizist bei einem Verkehrsunfall bin ich umgefallen und zusammen mit dem Unfallopfer ins Krankenhaus eingeliefert worden. Einige meiner Kollegen sind über zuviel Nähe zynisch geworden, andere fingen an zu trinken und einige haben sich sogar das Leben genommen.“ Sein Ausgleich für die dunklen Seelen ist Ehefrau Anna. „Axel und ich gehen oft spazieren oder reden über Jugendstilmalerei. Manchmal spiele ich auf dem Klavier und Axel legt die Füße auf die Couch. Doch das wichtigste ist für uns beide die Familie, die Kinder, der Hund, die Katzen, die beiden Wellensittiche und unsere Hühner. Ich bin mehr für das Leben zuständig, Axel mehr für die Toten.“
Vom Ermittler zum Profiler wurde der Petermann durch den Mordfall Wilhelmine Heuer, Besitzerin eines Tante Emma Ladens. Die 70jährige war erschlagen, sexuell missbraucht und erwürgt worden. Einer der Verdächtigen war der 57jährige Fritz Henkel. Er bestritt die Tat und sexuellen Kontakt mit der „alten Frau“ wies er entrüstet zurück. Doch die Indizien sprachen gegen ihn: Blutgruppe AB, männlich, dem Opfer bekannt. Hohe Schulden bei der Ermordeten, kein Alibi, impulsives und aggressives Verhalten. Faserspuren seiner Jeans wurden in der Wohnung der Toten gefunden. Doch der letzte Beweis fehlte...er wurde aus der U-Haft entlassen. „Doch für mich blieb er der Hauptverdächtige. Erst 15 Jahre später wurde durch die DNA-Analyse seine endgültige Unschuld festgestellt. Ich besuchte ihn und war erschrocken, wie alt und gebrechlich er geworden war. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie es ihm in den Jahren ergangen sein musste. Die Zweifel der Umwelt an seiner Unschuld hatten ihn scheu werden lassen. Ich entschuldigte mich und fragte, wie ich meinen Fehler gutmachen könnte. Er schaute mich aus traurigen Augen an und bat mich, ihn weiterhin zu besuchen und die Blumenkästen zu bepflanzen. Wenige Tage später leuchteten rote Geranien auf seinem Balkon. Auf seiner Beerdigung war ich der einzige Trauergast. Seine Einsamkeit hat mich sehr bewegt.“
Doch so gut der Kriminalhauptkommissar Petermann auch ist. In einem Fall hat er versagt. „Vor ein paar Wochen suchten wir vergeblich unsere Hausschlüssel“, verrät Anna Petermann. „Doch trotz intensiver Ermittlungen meines Mannes blieben sie unauffindbar. Also rief Axel eine Sicherheitsfirma und ließ alle Schlösser auswechseln. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Fenster mitgesichert und eine Alarmanlage eingebaut. Drei, Tage später, die Rechnung lag schon auf dem Tisch, fand ich das Schlüsselbund unter einem Baum. Unser Hund hatte es vergraben...“
Es geschieht am helllichten Tag
Dienstag 15.145. Es ist heiß. Die Luft in dem gelben Kleinwagen kocht. Die Klimaanlage hat ihren Geist aufgegeben. Seit drei Stunden sind Cathrin Schauer und Anna schon unterwegs und die Wasserflaschen fast leer. Sie haben Kondome auf dem Straßenstrich verschenkt, Flyer mit Hilfsangeboten und ihrer Telefonnummer v
Es geschieht am helllichten Tag
Dienstag 15.145. Es ist heiß. Die Luft in dem gelben Kleinwagen kocht. Die Klimaanlage hat ihren Geist aufgegeben. Seit drei Stunden sind Cathrin Schauer und Anna schon unterwegs und die Wasserflaschen fast leer. Sie haben Kondome auf dem Straßenstrich verschenkt, Flyer mit Hilfsangeboten und ihrer Telefonnummer verteilt. „Nicht alle Frauen reden mit uns. Viele haben Angst vor ihrem Zuhälter. Aber einige haben mit unserer Hilfe den Absprung aus der Hölle geschafft.“
Wenn Cathrin Schauer über ihre Arbeit spricht, spürt man, wie betroffen sie auch nach 20 Jahren noch ist. „Jedes dieser Schicksale ist eins zuviel. Doch die Gesellschaft und die Politiker machen die Augen zu. Heute brauchen Freier nicht mehr nach Bangkok fliegen. Zwangsprostitution, Kindesmissbrauch und verkaufte Kinder haben wir vor der eigenen Haustür.“
Die Fahrt geht weiter, wir sind in Cheb (früher Eger), einer Stadt nahe der deutschen Grenze. 32.256 Einwohner. Schöner Marktplatz, hübsch restaurierte Häuser. Hierher kommt Mann allerdings nicht zur Besichtigung der Romanischen Kapelle oder um den Egerländer Musikanten zu lauschen. „Hier suchen Männer Sex mit Minderjährigen. Umso jünger und unschuldiger, desto gefragter sind sie. Nicht alle Freier sind pädophil, viele suchen den sexuelle Kick und keiner von ihnen hat nur einen Funken Unrechtsbewusstsein.“
Weiter geht es auf der E 49 in Richtung Teplice. Viele Autos haben deutsche Nummerschilder. 22 Kilometer weiter stehen drei junge Mädchen. Auf den ersten Blick könnte man denken, sie kämen gerade aus der Schule. Doch der zweite Blick lässt anderes vermuten. Cathrin kennt die Mädchen. Sie reicht drei Packungen Kondome durchs Fenster. Aussteigen tut sie nicht. 20 Meter entfernt steht ein schwarzer BMW 320. Der Mann am Steuer sieht nicht nach Freund aus. „Die Dunkelhaarige links hat mir vor drei Wochen erzählt, die Deutschen wollen, dass wir viel von unserem Körper zeigen. Sie wollen sehen, was sie kaufen. Stellen Sie sich doch mal vor. Das erzählt mir eine Dreizehnjährige, die eigentlich noch mit Puppen spielen könnte.“ Ich höre Geschichten von einem Freier, der schnell zehn Minuten Sex mit einer Minderjährigen macht, während seine Frau im Supermarkt den Wochenendeinkauf einpackt. Eine total verrückte Welt. Wir fahren an einer Gruppe Frauen vorbei, die auf Freier warten. Es sind keine Kinder mehr, aber auch nícht älter als Anfang zwanzig. Sie winken. Ein paar Kilometer weiter steht Jolanka. Klein, zierlich, hängende Schultern. Wir halten an. Offiziell ist sie 18. Sie greift nach den Kondomen und den Erfrischungstüchern. Ihr Blick ist leer, nicht einmal mehr traurig. „Ich habe gehört, dass sie schon als Dreijährige von ihrer Mutter geschminkt und Männern am Autofenster angeboten wurde. Dann kam die Mutter ins Gefängnis und Jolanka ins Heim. Jetzt steht sie hier und versucht zu überleben.“ Ich erfahre von Schlägen und Vergewaltigungen, von unglaublicher Brutalität und von Todesfällen. Aber auch vom Schutzhaus, das Karo betreibt. „Die Frauen leben an einem geheimen Ort, erholen sich von dem Erlebten und werden von uns betreut.“
Zum Schluss berichtet Cathrin von einem14jährigen Jungen, der erzählte, dass er Zuhälter werden will und zwei Frauen für sich arbeiten lässt. „So sieht die Realität in Szene aus. Aus Opfern werden oft selbst Täter.“
Nach zehn Stunden und 358 km mehr auf dem Tacho, kehren Cathrin und Anna nach Plauen zurück und bleiben noch eine Weile schweigend im Auto sitzen. Zuviel haben sie gesehen und gehört. Da wäre jetzt jedes Wort zuviel.
Jana (33)
Als Jana kam, regnete es. Ich wartete bei einem Italiener in der Nähe des Bahnhofs. Bevor sie ihren Schirm zusammenklappte, sagte sie. „Ich weiß nicht, ob es wirklich gut ist mit Dir zu reden. Ich habe immer das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich weiß zwar, dass mich hier niemand aus meinem früheren Leben kennt, doch die Angst ist einfach da.“ Jana ist Tschechin und jahrelang durch die Hölle gegangen. Mit 13 wurde sie auf dem Bahnhof ihrer Heimatstadt von drei Männern entführt. „Ich kam von der Schule und war auf dem nach Hause. Ich trödelte in Richtung Bäcker und wollte mir was Süßes kaufen. Plötzlich spürte ich etwas Feuchtes auf mein Gesicht. Was dann geschah, weiß ich nur noch schemenhaft. Sie warfen mich auf den Rücksitz eines Autos und bedrohten mich mit einer Pistole, bis ich ohnmächtig wurde.“ Als Jana wach wurde, lag sie gefesselt in einem Bett. „Drei dunkelhäutige Männer erklärten mir, sie hätten mich verkauft und ich müsse tun, was die Käuferin von mir verlange. Sonst....“ Jana machte eine schneidende Bewegung an ihrem Hals entlang. „Naiv wie ich war, dachte ich an Erpressung und Lösegeld. Aber warum in aller Welt, gerade mich? Bei meiner Mutter war doch nichts zu holen.“ Doch Jana begriff sehr schnell. Sie war in einem Bordell gelandet. „Eine kleine dicke Frau schmiss ein rotes Kleid aufs Bett und befahl mir, mich nackt zu machen und das Kleid anzuziehen. Dann schleppte sie mich an die Bar und befahl mir, mit einem älteren Mann aufs Zimmer zu gehen. Kaum waren wir oben, schmiss er mich aufs Bett, drückte meine Beine auseinander und betatschte mich. Ich heulte. Er gab mir zwei Ohrfeigen. Der Gedanke an die Halsabschneidegeste machte mich willenlos. Der Mann muss viel Geld bezahlt haben, denn ich war noch Jungfrau.“ Das Grauen nahm seinen Lauf. Unzähligen Männer musste sie gefügig sein. „Wenn ich verzweifelt war, stellte mir oft vor, wie meine Mutter mich sucht und dass ich bald gefunden werde.“ Nach einer Suchmeldung im Fernsehen, schnitt man ihr die dunklen Locken ab und färbte ihre Haare blond. „Die Chefin stellte mich auf die Straße und band mir ein Seil ums rechte Handgelenk, damit ich nicht weglaufen kann. Warum ihr keiner geholfen habe, fragte ich. Wütend knüllt Jana ihr Tempotuch zusammen. „Die Schweine wollten doch morgen oder übermorgen wieder mit mir ficken.“ Jana erzählt mir, wie sie zu Gott gebetet hat und Ich bekomme Gänsehaut, als sie mir von ihrer Schwangerschaft berichtet und dass man sie zwang, das Kind auszutragen. „Gleich nach Geburt nahm sie mir meinen Sohn weg. Ich musste in verschiedenen deutschen und ausländischen Bordellen anschaffen und ihr wöchentlich Geld schicken. Mein Baby blieb als Pfand zurück. Einmal im Vierteljahr durfte ich meinen Sohn besuchen.“
Doch dann kam der Tag, an dem Jana nicht mehr konnte und seelisch zusammenklappte. „Ich stand vor der Wahl, mich umzubringen oder um Hilfe zu bitten. Ich vertraute mich einem Stammkunden an, der mich immer gut behandelt hatte.“ Danach ging es sehr schnell. Der Mann, nennen wir ihn Jonas, nahm Kontakt zum Karo e.V. auf und fuhr mit Jana nach Plauen. „Gemeinsam mit einem Freund ging er in das Bordell und behauptete, von der Kripo zu sein. Die beiden müssen sehr glaubwürdig gewesen sein, denn die Zuhälterin gab sofort meinen Jungen raus.“
Inzwischen ist ihr Sohn zehn Jahre alt und Jana zum zweiten Mal Mutter geworden. „Ich weiß auch nicht, was mein Sohn all die Jahre erdulden musste. Ich will es besser auch nicht wissen. Ich habe zwei Therapien hinter mir und obwohl ich mit meiner Familie glücklich bin, tauchen die alten Bilder immer wieder auf. “ Als Jana ging, hatte es aufgehört zu regnen. Ich schaue ich ihr hinterher und wünsche ihr viel Kraft.
0173 – 9755374
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Die wachsamen Augen des Himmels
Die Drei sind ein eingespieltes Team. Langeweile kennen sie nicht. Dafür ist ihr Job zu aufregend, verantwortungsvoll und manchmal auch gefährlich. Also nichts für Abenteurer. Eher etwas für Männer mit Mut, Durchsetzungskraft und mit dem Wunsch zu helfen. Sie verfolgen flüchtige Straftäter, suchen nach Vermisste
Die wachsamen Augen des Himmels
Die Drei sind ein eingespieltes Team. Langeweile kennen sie nicht. Dafür ist ihr Job zu aufregend, verantwortungsvoll und manchmal auch gefährlich. Also nichts für Abenteurer. Eher etwas für Männer mit Mut, Durchsetzungskraft und mit dem Wunsch zu helfen. Sie verfolgen flüchtige Straftäter, suchen nach Vermissten und retten Menschenleben. Zum Beispiel beim letzten Hochwasser an der Elbe. Da bestand ihr Tag aus zehn Stunden Flugeinsatz und das sieben Tage hintereinander. Sandsäcke füllen und abwerfen, über eingeschlossene Ortschaften fliegen und zeigen, dass es sie gibt: Die Retter von oben. Als Unterstützung für ihre Kollegen auf der Straße.
Polizeioberkommissar und Flugtechniker Attila Hillebrand (40), ist einer der 134 Männer und Frauen der Fliegestaffel Blumberg der Bundespolizei. Verheiratet, zwei Kinder, auch privat ein begeisterter Flieger mit Ultraleicht- und Segelflugzeug. „Die Hochwassereinsätze stecken mir immer noch in den Gliedern. Täglich zehn Stunden Flugeinsatz und das eine Woche lang. Aber es hat sich gelohnt. Durch unsere Anwesenheit haben wir den Menschen gezeigt: Wir sind für euch da und wenn ihr wollt, holen wir euch raus.“ So wie die alte Dame, die aus Angst vor Plünderung und der Hoffnung, die Flut würde vor ihrer Haustür stoppen, auf ein Wunder wartete. Das Wunder hieß EC 155 B und hatte 1720 PS. „Sie stand auf dem Dach ihres Hauses und winkte mit einer weißen Bluse. Wir flogen so tief wie möglich und ich sah Angst und Hilflosigkeit in ihrem Gesicht. Das sind Momente, die mir verdammt nahe gehen. Als wir zehn Meter über sie waren, ließ sich ein Kollege an der Winde runter und holte die alte Dame nach oben. Sie war erschöpft und weinte. Am letzten Tag unserer Anwesenheit kamen ein 12jährige Junge und seine Mutter in die Einsatzzentrale und sagten ein Gedicht auf. Sie hatten es für uns geschrieben; es war ein Dankeschön an die Hubschrauberbesatzungen. Es hieß ,Die wachsamen Augen des Himmels’ und hat alle sehr berührt.“
Seine Kollegen Manfred Heyer (58) und Roland Pawel (50) nicken. Das Team ist gerade von der Suche nach einer vermissten 35jährigen zurückgekommen. Erfolgreich. „Wir haben sie nordöstlich von Pankow auf den Gleisen einer ICE-Strecke gesehen, die Bahn verständigt und die Kollegen auf der Straße gerufen.“ Polizeihauptmeister Heyer (58) erinnert sich auch an die Suche nach einem vermissten Achtjährigen in Lichtenrade. „Wir kamen gerade von einem Einsatz aus Oranienburg und hatten Buntmetalldiebe auf dem Bahngelände erwischt. Als wir in Höhe Alex waren, kam der Notruf. Ein zwölfjähriger Junge wurde vermisst. Ich schaltete die Wärmebildkamera ein, richtete sie nach Süden und sah eine Person an einem Feld entlang laufen. Der Größe nach kann es der Junge sein, dachte ich, war aber sehr skeptisch. Doch der Zufall hatte mitgespielt und er war es wirklich. Vom Warum und Wieso bekommen wir nur selten etwas mit. Unsere Aufgabe ist beendet, wenn wir die Person gefunden haben.“ Er erinnert sich noch gut an die erste Zeit nach der Wende. Er saß beim BGS (Vorläufer der Bundespolizei) auf dem Flughafen Tempelhof und war mit der Vorbereitung für die Politikerflüge in die DDR beauftragt. „Da es keine direkte Telefonverbindung von uns in das Behördennetz der DDR gab, bin ich täglich nach Schönefeld gefahren und habe über das S 1 Sondernetz alles organisieren lassen. Ich, der kleine Wachtmeister sagte den Majoren in den Bezirken, was zu tun war. Aber es klappte alles wunderbar. Schließlich zogen wir alle an der gleichen Strippe.“
Zwischen den Einsätzen wartet die Mannschaft im Clubraum. Auf Sesseln, die aus Helikoptern stammen und auf denen Helmut Kohl, der Papst und andere Staatsgäste schon gesessen hatten. Erinnerungsfotos an den Wänden, Urkunden, Bierkrüge und Zinnteller in den Regalen, dazwischen ein paar Wimpel. Da lacht der deutsche Papst auf einem Foto und Heyer erinnert sich, dass Benedikt ihm die Hand gegeben habe. Manfred Heyer war früher Fotograf und ohne seine Kamera zieht er auch heute niemals los. Aufregend war auch die Verfolgung einer polnischen Autoschieberbande in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei und der Mobilen Kontroll und Überwachungseinheit (MKÜ). „Unsere Kollegen hatten die vier Diebe mit ihren vier geklauten Nobelkarossen eingekreist. Drei der Gangster ließen ihre Wagen stehen, sprangen zum Vierten ins Auto und rasten mit quietschenden Reifen ab. Rauf auf die Autobahn, die Kollegen hinterher und wir sicherten alles von oben. Vier Streifenwagen blockierten die Autobahn und unsere Leute holten die Ganoven aus dem Wagen.“
Pilot Roland Pawel (50) ist eher ein schweigsamer Mann. Große Reden mag er nicht. Erst als das Gespräch auf seinen spektakulärsten Einsatz kommt, erzählt er. „Elf Tote und 139 Verletzte auf der A 19 bei Rostock. Erst haben wir gar nichts gesehen, denn der Sandsturm war lokal begrenzt. Dann plötzlich Berge ineinander gefahrener Autos. Feuer, Qualm, Menschen rannten orientierungslos umher. Trotz des Lärms im Cockpit war mir, als hörte ich die Schreie der Verletzten. Ich setze die ersten Ärzte an der Unfallstelle ab und holte gleich danach die nächsten. Diesmal landete ich vorsichtshalber etwas weiter weg. Es war einfach zu gefährlich. Der Sand setzte sich in alle Poren und machte das Atmen schwer. Die Zähne knirschten und ständig mussten wir uns die Augen reiben. Zwischendurch rief ich noch Freunde an, von denen ich wusste, dass sie diese Strecke fahren wollten. Ich erwischte sie kurz vor der Unfallstelle, so dass sie die letzte mögliche Abfahrt nehmen konnten.“
Eine Bitte haben die wachsamen Augen allerdings: Fast täglich hagelt es Anzeigen wegen Lärmbelästigung und ein wenig mehr Verständnis würde ihnen die Arbeit erleichtern. „Schließlich fliegen wir nicht zum Spaß durch die Gegend. Es geht um Rettung von Menschenleben oder um Sicherheitseinsätze. Der Papierkram, der dann jedes Mal erledigt werden muss, ist ziemlich zeitaufwändig und unnötig.“
Mannshoch recken sich sieben Kreuze in die Höhe. Dem Himmel sind sie ein bisschen näher als andere und doch so viel ferner. Hier, in der kühlen Erde des Grunewalds, fern ihrer Heimat, befinden sich die Gräber sieben zarentreuer Russen. Doch weil sie sich das Leben nahmen, finden ihre Seelen keine Ruhe - davon ist so mancher Christ überzeugt. "Wenn
Mannshoch recken sich sieben Kreuze in die Höhe. Dem Himmel sind sie ein bisschen näher als andere und doch so viel ferner. Hier, in der kühlen Erde des Grunewalds, fern ihrer Heimat, befinden sich die Gräber sieben zarentreuer Russen. Doch weil sie sich das Leben nahmen, finden ihre Seelen keine Ruhe - davon ist so mancher Christ überzeugt. "Wenn Gewitterwolken vorbeiziehen, hört man ihre Schreie und sieht ihre angstvollen Gesichter im Dunkel des Himmels", erzählt Rudi. Ob der kleine Mann mit kahlem Kopf und dunklen Augen dem Besucher nur Angst einjagen will oder ob er die Gruselgeschichte selber glaubt, ist schwer zu sagen.
Gewiss ist, dass die sieben Männer Selbstmord begingen. "Beim Sieg der Bolschewisten haben sie sich aus Treue zum Zaren in der Havel ertränkt." Mit dem Tod steht Rudi auf Du und Du. Er war 44 Jahre Totengräber in Berlin. Und der Friedhof Grunewald-Forst im "Jagen 32" am Schildhornweg ist sein Lieblingsort. Wer früher hier begraben wurde, der hatte es sich mit Gott verscherzt: Das Waldstück war Selbstmördern vorbehalten. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts verweigerte die Kirche jedem, der freiwillig aus dem Leben geschieden war, die Beerdigung auf einem Friedhof; bis 1845 war Selbstmord in Preußen sogar ein Verbrechen. Ende des 19. Jahrhunderts fassten sich die Förster vom Grunewald ein Herz für Selbstmörder. Denn wo die Havel einen Knick macht, nahmen sich zu jener Zeit immer mehr Menschen das Leben: Hausangestellte, die von ihrem Dienstherrn schwanger waren, finanziell in Not geratene Familienväter oder unglückliche Paare, die keine Zukunft für ihre Liebe sahen. Auf einer Waldlichtung begruben Förster und Waldarbeiter 1878 die ersten Verdammten. Später, 1913, bauten Forstbeamte eine Mauer um die Begräbnisstätte der Namenlosen. Bis 1927 wurde sie als "Selbstmörder-Friedhof" genutzt, danach stand sie allen Toten offen. Ein 22-jähriger Schlossergeselle war der erste namentlich bekannte Tote auf dem "Selbstmörder-Friedhof". Das war am 22. Januar 1900. Bis 1920 fanden hier vor allem die ihre Ruhe, die als Wasserleichen angespült wurden. Oder jene, die von ihren Angehörigen abgegeben wurden. In der Hoffnung, dass sie hier das fänden, was sie im Leben vermisst hatten: Ruhe. Ruhe suchte auch Krankenpflegerin Minna Braun (1896 - 1922). Von den Eltern verstoßen, vom Verlobten verlassen, die Arbeit verloren, sollten Tabletten und Morphium sie vom Übel des Daseins erlösen. Forstarbeiter fanden sie unter einem Baum am Havelufer und brachten sie in die Aufbahrungshalle des "Selbstmörder-Friedhofs". Als der Kriminalbeamte 14 Stunden später die Identität der Toten feststellen wollte, bekam einen gehörigen Schreck: Minnas Kehlkopf bewegte sich plötzlich, sie kam ins Krankenhaus und überlebte. Drei Jahre später suchte sie erneut den Tod - dieses Mal mit Erfolg. Damals machte die Angst vor dem Scheintod die Runde. Nach der Geschichte mit Minna Braun diskutierte ganz Berlin über die Gefahr, lebendig begraben zu werden. Särge mit Sichtfenster und Luftlöchern kamen groß in Mode.
Schon Fürst Pückler hatte viele Jahre zuvor festgelegt, dass bei seinem Tode sein Herz herausgenommen und der übrige Körper in Ätznatron aufgelöst werden soll. Noch heute werden in einigen amerikanischen Ländern Särge mit Schnorchel versehen und mit einer Schnur aus dem inneren des Sarges kann der "Tote" eine Glocke läuten, die am Grabstein angebracht ist. Im Wind wiegen sich Buchen, Eichen und Tannen. Wenn der Mond durch ihre Äste scheint, ist das Gruseln perfekt. Aber wirklich Fürchten muss man sich nur vor den Wildschweinen, die es sich, wenn ein Friedhofsbesucher mal wieder das Tor nicht kräftig zugedrückt hat, zwischen den Gräbern gemütlich machen. Da hilft kein Brüllen, da müssen Oberförster Kilz und seine Helfer kommen. Hier gibt es keine pompösen Gräber, keine begehbaren Gruften und keine Grabsteine, die größer sind, als der Tote es zu Lebzeiten war. Und manchmal wird auch gefeiert. Zum Beispiel am Grab von Christa "Nico" Päffgen, die als Fotomodell und Sängerin Karriere gemacht hatte. Schon mit 18 Jahren beschloss sie, sich hier begraben zu lassen. Nach ihrem Unfalltod 1988 wurde ihr Wille erfüllt. Mit ihrer Mutter teilt sie sich 1,11 Quadratmeter im Grab 82.
Das Land Berlin erwägt, im Grunewald-Forst keine neuen Beerdigungen zuzulassen, den Friedhof in 50 Jahren zu entwidmen und ihn wieder der Natur zu überlassen. Wer übrigens außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten über den Friedhof geht, macht sich strafbar. So sagt es das Gesetz, so steht es am vier Meter hohem Eingangstor geschrieben. Nicht jeder hält sich daran. "Warum auch?", fragt Janka, die einmal monatlich im Morgengrauen zwischen den Gräbern wandelt. "Es ist ein irres Gefühl, wenn der Nebel über den Erdboden schwebt und manchmal nur die Spitzen der Grabsteine herausschauen. Ich mag das Gruselige. Da spüre ich erst richtig, wie schön das Leben ist."
...und plötzlich weg
Landeskriminalamt Berlin, Zimmer 329 A. Ein nicht ganz frischer Benjamini auf der Fensterbank, Werder Bremen- und St. Pauli Wimpel über den Schreibtisch. An der Wand ein Schlips, Geschenk eines Kollegen aus Zagreb. Auf dem Bürostuhl mit der Strickjacke über der Lehne ein Mann Anfang fünfzig mit dunklen, nach hinten gekämmten
...und plötzlich weg
Landeskriminalamt Berlin, Zimmer 329 A. Ein nicht ganz frischer Benjamini auf der Fensterbank, Werder Bremen- und St. Pauli Wimpel über den Schreibtisch. An der Wand ein Schlips, Geschenk eines Kollegen aus Zagreb. Auf dem Bürostuhl mit der Strickjacke über der Lehne ein Mann Anfang fünfzig mit dunklen, nach hinten gekämmten Haaren. Er strahlt Ruhe und Zuversicht aus. Muss er auch. Denn wer mit Dirk Mittelstädt oder seinen Kollegen zu tun hat, ist in einer psychischen Ausnahmesituation. Der 52jährige ist Leiter der Vermisstenstelle des LKA Berlin. Trotz aller Ruhe hat aber auch er manchmal das Gefühl, mit der Faust auf den Schreibtisch hauen zu müssen. So wie im Fall des 14jähriges Mädchens, nennen wir sie Elli*, die innerhalb eines Jahres 114 Mal vermisst gemeldet wurde. „Sie gehört zum Typ Dauerausreißer, die meistens wieder schneller da sind, als wir die Anzeigen ausfüllen können. Alle paar Tage rennt sie aus dem Heim weg. Wie geht denn das? Und wissen Sie, was ich von der Heimleitung zu hören bekomme? Wahrscheinlich hängt sie mit ein paar Freunden am Alex ab. Toll! Am liebsten würden die es sehen, wenn wir sie dort abholen und zurückbringen. Sind wir hier ein Taxiunternehmen oder die Vermisstenstelle.“
Jeden Morgen um acht ist Einsatzplanung. Dann treffen sich Mittelstädt und seine 15 Mitarbeiter zur Frühkonferenz und besprechen die eingegangenen Vermisstenmeldungen. „Verschwundene Kinder gehen sofort in die Fahndung. Jugendliche und Erwachsene werden erst einmal zehn Tagen von der örtlichen Polizeidirektion bearbeitet. Danach landen sie auf meinem Schreibtisch“, erklärt der Kommissariatsleiter.
Laut Statistik wurden im vergangenen Jahr 1442 Kinder, 4544 Jugendliche und 4896 Erwachsene in Berlin als vermisst gemeldet. Zwei Drittel von ihnen sind männlich. Nur zwei Prozent aller vermissten bleiben länger als ein Jahr weg. Nüchterne Zahlen. Für die Angehörigen jedoch ein Albtraum. Hinter jeder Anzeige steckt ein Schicksal. Mütter weinen, Väter sind verzweifelt, Freunde trauern. Die einen gehen nur „mal schnell Zigaretten“ holen und kommen nie wieder. Andere verschwinden ganz ohne Abschied. Wenige werden ermordet, einige nie gefunden. Gründe gibt es genug: Schulden, schwere Krankheit, Suizid, Streit mit dem Partner. Oder sie wollen einfach nur das alte Leben hinter sich lassen und irgendwo anders neu anfangen.
„Der Werkzeugkasten unserer Maßnahmen ist voll. Wir können Hundertschaften auf die Suche schicken, Hubschrauber, Polizeitaucher, Hunde, Wasserschutzpolizei oder Lautsprecherwagen einsetzen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“
Berlin –
Sollte Ben Jastram mal einen komplizierten Bruch erleiden, besteht die Hoffnung, dass er sich dann einen neuen Knochen drucken kann.
Ben Jastram (35) ist Diplom-Ingenieur. Als Mitglied eines 14-köpfigen Teams will er die Medizin revolutionieren: mit Hilfe der 3-D-Drucktechnik. Die Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und -prü
Berlin –
Sollte Ben Jastram mal einen komplizierten Bruch erleiden, besteht die Hoffnung, dass er sich dann einen neuen Knochen drucken kann.
Ben Jastram (35) ist Diplom-Ingenieur. Als Mitglied eines 14-köpfigen Teams will er die Medizin revolutionieren: mit Hilfe der 3-D-Drucktechnik. Die Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) forscht mit Hochdruck an der 3-D-Technik. Ihr Ziel: natürlicher Knochenersatz aus dem Drucker.
Abteilung 5.4: Keramische Prozesstechnik und Biomaterialien. Leiterin Dr. Cynthia Gomes (34) hat eine Vision...
Der Chirurg scannt den gebrochenen Knochen mit Hilfe des CT, der PC rechnet die Daten um. Schicht für Schicht entsteht im Drucker der neue Knochen. Wenige Minuten später ist das Implantat fertig gedruckt und wird eingesetzt.
Cynthia Gomes und die Mitarbeiter des Fachbereichs haben dafür ein bioaktives Keramikpulver und einen Spezialkleber entwickelt. Das Material ist porös, wird nach dem Druck bei 1000 Grad in einem Spezialofen gehärtet und im Gegensatz zu anderen Materialien doppelt so schnell vom Körper aufgenommen.
„Unser patentiertes Keramikpulver ist nicht nur ein Kunstersatz, sondern regt zusätzlich die Bildung neuer Knochensubstanz an“, erklärt Gomes. „Durch die poröse Struktur wachsen die Zellen schnell in das Implantat hinein, das künstliche Substrat löst sich im Körper auf.“
Cyntia Gomes hofft, in fünf Jahren so weit zu sein, dass die ersten Tests an Menschen ausgeführt werden können. „Bei Mäusen, Ratten und Schafen funktioniert es schon.“
Schon heute entstehen anhand der 3-D-Technik modellgetreue Schablonen für die Hals-Nasen-Kopf-Chirurgie.
Und Ben Jastram und sein Kollege Samuel Jerichow (32) entwickeln derzeit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Herzzentrum einen Drucker zur Herstellung von Herzklappen.
„Das Prinzip ist einfach“, erklärt Jastram: „Wir lassen ein CT der geschädigten Herzklappe machen, rechnen den Datensatz in 3-D um und drucken ein 1:1-Modell der erkrankten Klappe in einem speziellen Material als poröses Gitter aus. Danach werden Zellen des Patienten angesiedelt und wachsen auf dem gedruckten Gestell. Nach drei bis vier Monaten sind genügend Zellen nachgewachsen und haben das Gittergerüst aufgelöst. Das ist unser Plan.“
Dass so ganz nebenbei bei Übungszwecken auch ein paar private Dinge aus dem Drucker kommen, freut die Forscher. Ben Jastram: „Ich habe mir eine Halterung für meine Fahrradlampe ausgedruckt und Samuel entwirft ganz tolle Uhren.“
Rapid Prototyping (Schneller Modellbau) heißt das Verfahren. Der US-Amerikaner Luke Masella zum Beispiel lebt schon seit zwölf Jahren mit einer Blase aus einem Drucker; er litt an einer angeborenen Blasenlähmung.
Von Berlin zum Mars
Der Weg zum Roten Planeten führt über Adlershof
Januar. 2016. Es war, als ginge die Welt unter. Der Wind pfiff mit 110 km/h über die Ebene und der Schneesturm zwang die Menschen in die Zelte. Von den bizarren Felsformationen des Transantarktischen Gebirges war nichts mehr zu sehen. Die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums fü
Von Berlin zum Mars
Der Weg zum Roten Planeten führt über Adlershof
Januar. 2016. Es war, als ginge die Welt unter. Der Wind pfiff mit 110 km/h über die Ebene und der Schneesturm zwang die Menschen in die Zelte. Von den bizarren Felsformationen des Transantarktischen Gebirges war nichts mehr zu sehen. Die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) fühlten sich wie auf einen anderen Planeten.
„Unser Camp bestand aus 22 Personen und die Sicht war auf wenige Meter begrenzt. Der Schneesturm rüttelte an den Zelten und blies durch die Ritzen. Das Duschzelt war bereits zusammengebrochen.“ Wenn Jean-Pierre de Vera erzählt, fühlt man sich mittendrin. So wie in einem 3-D-Film mit Superstereosound. In jedem Satz spürt man die Begeisterung für seinen Beruf.
Der Mikrobiologe und Planetenforscher vom DLR in Adlershof wäre fast sogar selbst ins All geflogen. „Ich kam in die Auswahl der letzten 100. Doch dann machte Alexander Gerst das Rennen.“ Gemeinsam mit 63 Wissenschaftlern aus 12 Nationen forscht der 44jährige am BIOMEX-Experiment (Biologie und Mars Experiment). Dass der Mars zumindest in der Vergangenheit bewohnbar war, davon ist de Vera überzeugt. „Wir forschen nach dem Ursprung des Lebens und seiner Verbreitung im Weltall. Wenn vor vier Milliarden Jahren Leben auf dem Mars entstand, kann es sogar bis heute überlebt haben. In Nischen oder Höhlen, vielleicht sogar in Lavahöhlen des 21.000 Meter hohen Olympus Mons, dem höchsten Berg in unserem Sonnensystem. Auch ein längerer Aufenthalt im All ist kein Todesurteil. Das beweisen die Experimente auf der Internationalen Raumstation. Mikroben könnten auch ,per Anhalter’ in Meteoriten von einem Himmelskörper zum anderen reisen und ohne Gewächshaus auf dem Mars überleben.“ Doch auch die Gefahr, dass mit einer Raumsonde irdisches Leben auf einen anderen Planeten landet und ihn kontaminiert, beschäftigt den Adlershofer. „Wir müssen andere Planeten schützen. Dazu müssen wir aber wissen, unter welchen Bedingungen unsere Mikroorganismen überleben können und wer die Strahlungen und Kälte im All übersteht.“
Von kleinen grünen Männchen hält de Vera wenig. Auch nicht von dunklen Gestalten mit Lichtschwertern, die uns Böses wollen. „Obwohl“, so schmunzelt er, „nichts ist unmöglich“. Aber „Star Trek“ und „Raumschiff Enterprise“ sind trotzdem seine Lieblingsserien wenn er sich entspannen will.
Dr. de Vera ist neugierig, mutig und ein Mann der Tat. Selbst 50 Grad Hitze und 50 Grad Kälte halten ihn nicht auf. Um Proben für die außerirdischen Experimente zu sammeln, trieb es ihn in die Antarktis und in die chilenische Atacama-Wüste. „Das sind Stellen, an denen ähnliche klimatische Bedingungen wie auf dem Mars herrschen. Hier geht die Temperaturskala rauf und runter. Trocken, kalt und dünne Luft sind Voraussetzungen wie auf dem Roten Planeten.“
Wer glaubt, dass es heute keine Abenteuer mehr für Forscher gibt, der sollte de Veras Vorträgen lauschen oder sich an einer Expedition in die Antarktis beteiligen. „Es begann schon auf der Schiffsreise in den polaren Süden. Zu Weihnachten passierten wir den 66. Breitengrad und die Crew spielte abwechselnd bayerische Musik, Weihnachtslieder und Klassik. Um Mitternacht tauchten sogar Weihnachtsmänner auf. Zum Schluss tanzten wir und sangen Karaoke.“
So lustig wie auf der Überfahrt nach Nord-Viktorialand war es allerdings später nicht mehr. „Die Tage und Nächte im Schneesturm lähmten unseren Arbeitseifer und unsere Ingenieurin Nicole Schmitz musste auf besseres Wetter warten, um ihre Stereokamera „Pan Cam“ auszuprobieren. Die soll 2018 mit der ExoMars-Mission zum Roten Planeten fliegen.“
Seit 2009 erforscht der Wissenschaftler mit seinem Team die Überlebenschancen seiner Proben unter marsähnlichen Bedingungen. Dazu geht es in den Keller, wo hinter fest verschlossenen Türen und in klimatisierten Räumen der Mars beginnt. „In unserem Planetensimulations-Labor bilden wir fast 1:1 die Marsbedingen nach“, erklärt de Vera und zeigt das kühlschrankähnliche Gerät im Keller des DLR. Die Physiker Andreas Lorek, Alexander Koncz und David Wolter hatten lange getüftelt, bis der genaue Tagesablauf des Roten Planeten exakt simuliert werden konnte. Eine Gasmischanlage stellt die genaue Zusammensetzung der Marsluft (96% Kohlendioxyd) her, Vakuumpumpen erzeugen einen Luftdruck von sechs Millibar (Erde: 1 Bar= 1.000 Millibar). Ein Dimmer reguliert das LED-Lichtsystem und über die Gaszuführung wird morgens und abends Feuchtigkeit zugeführt. „Mit unserer Technik liegen wir weltweit an der Spitze und unterstützen selbst Kollegen bei der NASA. In unserem neuesten 34-Tage-Experiment haben wir bewiesen, dass Flechten, Pilze oder Bakterien extreme Temperaturschwankungen aushalten. Besonders geeignet sind Flechten. Diese Mischwesen aus Alge und Pilz existieren auch auf der Erde an extremen Standorten. Das beweist, dass es Leben auf dem Mars geben könnte. Wie auch immer es aussehen möge.“
Am 23. Juli 2014 um 23.44 Uhr starteten einige von de Veras Bakterien und Flechten mit einer Progress-Rakete „per Anhalter“ ins All. Ihr Ziel: Die internationale Raumstation ISS. Dort wurden DLR-Experimente BIOMEX und BOSS an der Außenwand der Station angebracht und waren sogar während des ISS-Aufenthalts des ESA-Astronauten Alexander Gerst kosmischer Strahlung ausgesetzt. Nach 530 Tagen kehrten die „Versuchsstiere“ mit dem ESA-Astronauten Tim Peak im Sojus-Raumschiff zur Erde zurück. Von hier wurden sie an internationale Wissenschaftlergruppen zur Auswertung geschickt. „Rein optisch gesehen, haben sie keinen Schaden genommen. Wenn wir erfahren, wie Organismen auf anderen Planeten überleben können, wissen wir auch, wo wir nach Leben suchen sollen. Auf jeden Fall würde es unsere Suche nach Leben auf dem Mars erleichtern“, meint de Vera. „Die Ergebnisse der Zellkulturen, die knapp zwei Jahre an der Außenwand der ISS durchs All flogen, könnten auf die Existenz von außerirdischem Leben im Sonnensystem hinweisen. Flechten und Urbakterien sind wahre Überlebenskünstler. Letztere könnten vor Milliarden Jahren durch Asteroideneinschläge von einem Himmelskörper zum anderen gekommen sein.“ Wenn de Vera von SEINEN Mikroorganismen erzählt, spürt man die Faszination, die von den Milliarden Jahre alten Urbakterien oder den bedeutend jüngeren Flechten ausgeht. „Pleopsidium chlorophanum“...wenn de Vera den Namen ausspricht, klingt es wie ein Ritterschlag. „Das ist der James Bond unter den Flechten. Für ihn gibt es keine Hindernisse. Seine schnelle Anpassung an die Umwelt und die enorme Widerstandskraft, lassen ihn sich schnell den Marsbedingungen anpassen.“
Zur Zeit bereitet sich der Adlershofer Wissenschaftler auf ein weiteres Weltraumexperiment vor. BIOSIGN: Erforschung der Umweltbedingungen der Eismonde und die Suche nach Leben in diesen eisigen Ozeanwelten von Jupiter und Saturn. Dafür braucht er Proben aus der Tiefsee. Doch nicht immer zieht es den Wissenschaftler in Extremregionen. Er engagiert sich für Erdbebenopfer in Nepal und hilft den Flüchtlingen in der Adlershofer Radickestraße. Überhaupt, de Vera ist auch privat ein ungewöhnlicher Mensch. Wer verbringt schon seine Hochzeitsnacht am Nordpolarkreis? Muss Mann/Frau da nicht ein wenig verrückt sein? „Überhaupt nicht“, lacht der 44jährige Wissenschaftler. „Mann braucht nur eine Frau, die Abenteuer liebt. Und Elena und ich sind nicht nur auf diesem Gebiet ein wunderbares Paar.“
Von Rolf Kremming
Camilla war knapp dreißig und wollte solide werden. Es war ein Sonntagmorgen im Mai, als sie beschloss, mit ihrem bisherigen lasterhaften Leben Schluss zu machen. Nicht das sie es bereute. Ganz im Gegenteil. Sie hatte viel Spaß gehabt, viele Menschen kennen gelernt und es war ihr nie langweilig
Von Rolf Kremming
Camilla war knapp dreißig und wollte solide werden. Es war ein Sonntagmorgen im Mai, als sie beschloss, mit ihrem bisherigen lasterhaften Leben Schluss zu machen. Nicht das sie es bereute. Ganz im Gegenteil. Sie hatte viel Spaß gehabt, viele Menschen kennen gelernt und es war ihr nie langweilig gewesen. Doch jetzt...so beschloss sie, wäre es an der Zeit, sich anderem zuzuwenden. Sie stieg in den Keller, ordnete die Dinge, die sie verkaufen wollte, weil sie in ihrem neues Leben keinen Platz mehr hatten. Camilla, seit sechs Jahren Domina, ordnete ihre Zukunft, indem sie sich von ihrer Vergangenheit verabschiedete. Während im Park die Blumen dufteten und Liebespärchen sich gegenseitig ewige Treue schworen, verkaufte sie die Sachen, die von Lust und Leid erzählten. Die schwarzen Lederklappen zum Augen verbinden bekam der Optiker an der Ecke, der sie als Dekoration zwischen die Armani- und Porschebrillen ins Schaufenster stellte. Alle Welt wunderte sich, aber nur er und Camilla wussten von den gemeinsamen Stunden mit verbundenen Augen. Auch das er manchmal ein paar Peitschenhiebe brauchte, um die Lust zu genießen, blieb ihrer beider Geheimnis. Den Käfig mit dem dreifach gesicherten Schloss veräußerte sie an den Tierpark. Denn auch der Herr Zoodirektor wollte seine Zukunft mit Erinnerungen verschönern. Immer wenn er auf den traurig blickenden Affen im Käfig schaute, stellte er sich vor, wie schön Eingesperrtsein sein kann. Den Königinnenthron, von dem sie mit den Stiefelspitzen alles niedertrat, was sich ihr in den Weg stellte, kaufte ein türkischer Schuhputzer. Ün püüür klünne Ümbauten, dünn bün üch Künüg, sagte er zum Abschied und hievte sich den Monsterstuhl auf seine schmalen Schultern. Den Richtblock vermachte sie in einem Anflug von Nächstenliebe dem örtlichen Museum. Das schwarze Andreaskreuz zersägte sie und schmiss die einzelnen Teile heimlich Stück für Stück nachts in die Mülltonne. Nur mit dem Sklaven wusste sie nicht recht wohin. Erst gedachte sie ihn einer Kollegin zu verkaufen, doch Liebwurz wurde störrisch und weigerte sich. Zum ersten Mal in seinem Leben wehrte er sich. Jetzt arbeitet er als Kontrolleur bei den Städtischen Verkehrsbetrieben und lässt niemals Gnade vor Recht ergehen. Jetzt gibt er das zurück, was mann/frau im jahrelang angetan haben. Sehr zum Genuss seiner eigenen Lust. Früher flehte er um Gnade, jetzt lässt er selbst die Sau raus.
Als das Vergangene vergangen war, eröffnete Camilla einen kleinen Laden am hinteren Ende der Einkaufsstraße, zwischen Aldi und der Stadtsparkasse. Gegenüber einer Apotheke, einem Dönerladen und dem Zeitungskiosk. Hier bot sie ihre Schreibdienste an. Nun verfasste sie den lieben langen Tag Briefe an Behörden, die meist mit der Floskel...in Bezugnahme auf ihr Schreiben vom.... begannen, Mahnbescheide an säumige Kunden oder kleine Gedichte für das Poesiealbum. Üb immer Treu und Redlichkeit...Gott wird es dir lohnen. Oder: Wer hoch steigt, der tief fällt. Oder: Mach andere glücklich, und du wirst es auch sein....Wer will, was er kann, der fängt es richtig an., Einmal allerdings hatte sie sich vertan. Da schrieb sie: Alter schützt vor Torheit nicht. Und das ausgerechnet einer Dame Ende der Fünfziger, die frisch verliebt in einen zwanzigjährigen Jüngling war. Aus Schaden wird man klug. So auch Camilla. Ein derartiger Fehler passierte ihr nicht noch einmal.
Doch am liebsten schrieb sie Liebesbriefe, die meist mit ...Mein Sonnenschein...oder...meine Zuckerschnecke... begannen. Es waren die Erinnerungen an ihr erstes eigenes Verliebtsein und die Briefe, die sie unter Tränen heimlich bei Kerzenschein las. Er hieß Wanfried und sah so aus, wie sein Name vermuten ließ. Aber sie liebte ihn. Er war 16, voller Pickel und mit gegeeltem Haar. Als Wanfried sie wegen Ursula verließ, wollte sie erst sterben. Doch dann überlegte sie es sich anders und wurde Domina. Nun also war auch diese Zeit vorbei. Sie war Lehrern eine strenge Lehrerin gewesen, hatte Wirtschaftsbossen das Fürchten gelernt und Manager zu Schulkinder gemacht. Sie hatte geschlagen, mit Zangen gezwickt und die Peitsche geschwungen. Alles für die Lust der anderen. Manchmal hatte sie Spaß gehabt, sich Wanfried mit Ursula dabei vorgestellt, manchmal wollte sie nur, dass es schnell vorbei ging. Auf jeden Fall hatte sie gut dabei verdient.
Eines Tages lernte sie Günther kennen. Günther mit –th. Sie saß im „Cafe Sonnenschein“, löffelte am zweiten Stück Erdbeertorte herum und freute sich über das Leben. Der Herr am Tisch neben ihr schaute nun schon zum dritten Mal hinüber und lächelte. Sie lächelte zurück. Er trug einen grauen Anzug und eine Krawatte, über deren Farbe sich streiten ließ. Aber Camilla mochte nun mal kein gelb. Wenige Minuten später saß er neben ihr am Tisch, ein paar Tage danach auf ihrer Couch. Er war Lehrer und konnte charmant sein. Dass er schüchtern und zurückhaltend war, störte sie nicht. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag fand sie noch ein paar Handschellen. Schwarz lackiert mit mattem Überzug. Sie lagen ganz hinten unter dem ledernem BH und den Lackstrapsen. Das alles brauche ich jetzt nicht mehr, dachte sie und packte sie die Teile in einen Karton. Lady Z freute sich über Camillas Besuch und noch mehr über das kleine Geschenk. Zum Abschied ließ Camilla noch einmal die Augen durch den schwarzen Salon wandern. Über die siebenstriemigen Peitschen, die Holzblöcke, den Käfig, das Andreaskreuz und all die anderen Dinge, die bis vor kurzem noch ein Teil ihres Lebens gewesen waren. Als sie ging, war sie glücklich. Sie kaufte sich eine durchsichtige Rüschenbluse, BH und Slip mit Spitze und echt italienische Schuhe. Nicht die mit den hohen Spitzenabsätzen, sondern flache mit verspielten Riemchen. So würde sie ihren Günther an ihrem Geburtstag überraschen. Er würde staunen...
Der Dreißigtste kam und mit ihm die Überraschung. Morgens wurde sie vom Kaffeeduft geweckt und als sie Augen aufschlug, brannten 30 Kerzen auf einer von Günther selbst gebackenen Schokoladentorte. Daneben vier liebevoll mit Papier und Schleifchen verziehrte Päckchen. Camilla jubelte, hatte sie doch seit ihrer Kindheit so etwas nicht mehr erlebt. Das kleinste Päckchen in lila umhüllte eine Armbanduhr. Das nächste enthielt ein seidenes Nachthemd und das dritte einen Duden mit neuer Rechtschreibung. Schließlich war Günther Lehrer und somit auch für die Bildung zuständig. Als sie das letzte Päckchen öffnete, es war in zartrosa Papier gewickelt und mit einer silbernen Schleife verschnürt, stand Günther voller Erwartung neben ihr. Mach schnell, ich bin neugierig auf dein Gesicht, flüsterte er und küsste aufgeregt ihre Wange. Unter dem Papier kam ein kleiner schwarzer Karton zum Vorschein, der mit zwei Schnallen an den Seiten zugehalten wurde. Sie schnippte die Verschlüsse auf und...alles hatte sie erwartet, nur keine schwarzen Handschellen. Als er sie später ans Bett gefesselt hatte, flehte er sie an...
11. Stock: Wittenbergplatz
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Wer sich die 187 Stufen in dem Lichtenberger Plattenbau hochquält (kann aber auch den Fahrstuhl nehmen) und bei Czech die Klingel drückt, ist in einer anderen Welt. Kaum geht die Wohnungstür auf, steht der Besucher mitten in einem echten U-Bahnwagen. Gleich rechts die Notbremse in Alarmrot, darunter ein Notsitz mit
11. Stock: Wittenbergplatz
.
Wer sich die 187 Stufen in dem Lichtenberger Plattenbau hochquält (kann aber auch den Fahrstuhl nehmen) und bei Czech die Klingel drückt, ist in einer anderen Welt. Kaum geht die Wohnungstür auf, steht der Besucher mitten in einem echten U-Bahnwagen. Gleich rechts die Notbremse in Alarmrot, darunter ein Notsitz mit Feuerlöscher. Mit etwas Fantasie spürt man den Geruch vergangener Zeiten in der Nase, hört das Knarren des Fußbodens und das Gequietschte, wenn der Zug sich in die Kurve legt. Sigmund Czech (68) ist BVG-Fan und liebt alles, was mit U- und Straßenbahnen zu tun hat. Das beste Stück seiner Sammlung aber ist dieser Original U-Bahnwagen von 1928. Hier fühlt sich der Elektromeister in seine Kindheit zurückversetzt. Wie er mit sechs Jahren zum ersten Mal durch einen U-Bahntunnel fuhr, wie ihn die Lichtreflexe an den dunklen Wänden begeisterte und das Rappeln und Schlingern des Zuges und das flackernde Licht im Abteil faszinierte. „Keiner, der nicht dieselbe Macke hat wie ich, kann das verstehen. Meine Verwandtschaft und meine Freunde halten mich für irre. Aber sie meinen es verdammt nett. Sie sind sozusagen positiv erschüttert. Selbst der Paketbote und der Heizungsableser bleiben schon mal ein Momentchen länger.“ Kein Wunder, denn im Waggon „128 712-8“ geht es manchmal auch hoch her. „Wir haben schon so manche Feste im Zugabteil gefeiert und schöne Stunden mit Buletten, belegten Schrippen und Korn verbracht. Wenn es zu eng wird, ziehen sich unsere Frauen ins Wohnzimmer zurück.“ Hinter der Wandverkleidung direkt über der roten Kunstlederbank (reserviert für Schwerbeschädigte) stehen Miniflaschen Korn, Wodka und Wacholderschnaps. „Das Schränkchen hat es damals natürlich nicht gegeben. Das war meine Idee und ich habe es selbst eingebaut. Sozusagen als eiserne Reserve.“
Auch Ehefrau Heidemarie sitzt gerne mal im Nichtraucherabteil und ruht sich im Halbdunkel vom Alltag aus. „Anfangs war mir die U-Bahn nicht so ganz geheuer. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich für das Hobby meines Mannes entschuldigen. Aber heute finde ich es toll, einen so originellen Mann und Flur zu haben. Die Originalmessingstangen, die geriffelte Deckenbeleuchtung aus Milchglas und die Notbremse. Alles ist noch so original wie damals, als der Zug die Strecke Pankow-Mohrenstraße fuhr.“ Nur eines war Heidemarie zuviel: Wenn die Türen auf- und zugingen, zischte es jedes Mal. So wie damals im Original. „Das hat vor allem meine Nachtruhe gestört. Wer kann schon schlafen, wenn du mit einem solchen Geräusch aus den schönsten Traum gerissen wirst.“ Aber Sigmunds Idee mit der Notbremse findet sie gut. Wer daran zieht, dem geht sofort ein Licht auf. „Ich habe sie so geschaltet, dass ein paar Lampen leuchten. Schließlich bin ich doch Elektromeister.“
Angefangen hat alles vor 25 Jahren, als Sigmund sich kurz nach der Wende für 10 Ostmark das Zugabteil kaufte. Der U-Bahner aus dem elften Stock denkt gerne an die Anfänge zurück. „Wissen Sie“, erzählt er schmunzelnd, „es war ein verdammt kalter Februartag im Jahre 1990. Ich hatte Urlaub und hatte mir extra den Wecker für 5.00 Uhr gestellt. Ich stand dann morgens um halb sieben mit Maulschlüssel, Hammer und Zange auf den Betriebsbahnhof Friedrichsfelde. Irgendwie schauten mich alle recht merkwürdig an. Es hatte sich herumgesprochen, dass ein ,Verrückter’ eine U-Bahn gekauft hatte und alle wollten den Typen sehen. Doch ohne mich lange zu erklären, habe ich den Wagen in gefühlte 10.000 Teile zerlegt und in meinen papyrusweißen Trabbi 601 gepackt. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich mit meinen 26-PS-Renner hin und her gefahren bin, bis alle Teile mit Hilfe meiner Tochter in unserer Dreizimmer-Platte waren.“ Es war Schwerarbeit, wie sich später noch herausstellte. Denn einige Teile waren zu groß für den Fahrstuhl. „Der Schweiß ist literweise geflossen und am Abend waren wir ziemlich platt. Doch es gab noch ein zweites Problem. Meine Frau hatte keine Ahnung von dem Vorhaben. Ich wollte sie sozusagen mit einer ,Jungfernfahrt’ überraschen. Als sie nach Hause kam, war Polen offen, wie man so schön sagt.“ Doch schließlich half Heidemarie sogar mit, das Schmuckstück auf Vordermann zu bringen. Der Wagen musste noch verkürzt und um einem Meter schmaler gemacht werden. So kamen im Laufe der Zeit rund 300 Arbeitsstunden zusammen. Sigmunds besonderer Stolz liegt hinter dem alten Bahnhofsschild „Wittenbergplatz“. Wo bis vor eine paar Jahren noch das Schlafzimmer von Heidemarie und Sigmund war, liegt heute ihr Hobbyzimmer. Denn außer Sigmunds Leidenschaft für U-Bahnen (ohne kann ich nicht leben), haben die beiden noch ein gemeinsames Hobby: Berliner Historie, Verkehr und Drehorgelspielen.Hier stehen die verschiedensten Modelle, liebevoll restauriert unter einem bestickten Tuch mit dem Spruch „Halte blank, Topf und Schrank“ „Seit 22 Jahren ziehen wir gemeinsam durch Berlin und orgeln, was der Leierkasten hergibt. Von Rock bis Klassik und natürlich ,Untern Linden’ und den ,Sportpalastwalzer’.“ Und wie fahren Heidi und Siggi zu ihren Leierkastenkonzerten? Natürlich mit der U-Bahn...Seniorenkarte 65+ ABC...
Notruf 110
Ein Tag in der Einsatzleitzentrale
„Kommen Sie schnell. Ich werde verstrahlt.“ Die Frauenstimme am anderen Ende des Telefons klingt aufgeregt. Weniger aufgeregt ist Polizeikommissar von Possels Tipp: „Nehmen Sie eine Alufolie und halten sie die vor das Gesicht. Dann kann ihnen nichts passieren.“ Hörbar erleichtert bedankt sich die
Notruf 110
Ein Tag in der Einsatzleitzentrale
„Kommen Sie schnell. Ich werde verstrahlt.“ Die Frauenstimme am anderen Ende des Telefons klingt aufgeregt. Weniger aufgeregt ist Polizeikommissar von Possels Tipp: „Nehmen Sie eine Alufolie und halten sie die vor das Gesicht. Dann kann ihnen nichts passieren.“ Hörbar erleichtert bedankt sich die Anruferin. Marcus von Possel sitzt seit fünf Jahren in der Einsatzleitzentrale der Berliner Polizei und wundert sich über gar nichts mehr. Eine Frau wollte ihren Anrufbeantworter repariert haben, eine andere meldete einen überfahrenen Hasen. Neulich hat einer Pizza bei ihm bestellt. Von Possel fragte, was er drauf haben wolle. Mit oder ohne Salami? Der 49jährige Polizeikommissar hat Humor. Das sieht man ihm auch an. Er ist davon überzeugt, dass, wenn ein Mensch lächle, es sich auch auf seine Stimme überträgt. Doch die meisten Anrufe sind ernsterer Natur und weniger zum Lachen. „Wir haben Fälle, die ein sofortiges Eingreifen notwendig machen. Da gibt es kein Geplänkel und keine überflüssigen Fragen. Name, Grund des Anrufs und Ort des Geschehens. Alles andere kostet nur unnötig Zeit.“ Da war zum Beispiel die junge Frau, die von ihrem Freund bedroht wurde. Er stand vor der Wohnungstür und wollte sie mit einer Axt zu einschlagen. „Die Anruferin hatte Panik und ich beruhigte sie und mein Kollege schickte sofort einen Streifenwagen los. Die Funkstreife war glücklicherweise schneller am Tatort, als der Mann die Tür zerhacken konnte. Der Täter wurde mitgenommen, die Frau zog zu einer Freundin.“
260 Beamte arbeiten in vier Schichten rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. „Wir haben pro Jahr 1,34 Millionen Notrufe. 3.700 pro Tag und sind die größte Einsatzleitzentrale Deutschlands“, erzählt Polizeioberrat Michael Prinz (55), stellvertretender Leiter der Abteilung. „Schätzungsweise 25 bis 30% der Anrufer sind allerdings nicht wirklich in Not. Da ist die Oma, die sich einsam fühlt. Oder der Mann, der sich darüber beschwert, dass der Pfandflaschenautomat bei Aldi nicht funktioniert. Damit blockieren sie die dringend benötigten Leitungen für wirkliche Notfälle.“
Gedämpftes Licht, leise Stimmen. Sogar das Klappern der Computertastaturen ist fast lautlos. Anspannung pur. Gut ablesbar in den Gesichtern vor den Bildschirmen. In Kreuzberg steht ein herrenloser Koffer auf der Straße. Im Sicherheitsbereich einer Botschaft ist ein Fahrrad angeschlossen. Messerstecherei in Neukölln. Ein Mann will sich vom Kran stürzen. „Solche Fälle haben Priorität. Da muss ein Verkehrsunfall mit Blechschaden schon mal warten. Auch der Nachbar, der sich über das laute Liebesgestöhne und das Surren des zu Boden gefallenen Vibrators beschwerte, musste dann eben noch eine Weile zuhören.“ Hier sind Beamte mit Berufs- und Lebenserfahrung gefragt. Frauen und Männer mit guter Auffassungsgabe und schnellen Entscheidungen. Jede Sekunde zählt, kann Leben kosten. „Freitag und Samstag haben wir die meisten Anrufe. Die Spitze erreichen wir am Neujahrsmorgen in der Stunde zwischen Mitternacht und ein Uhr. Letztes Jahr hatten wir 560 Anrufe in den 60 Minuten. Erst wird angestoßen und alles Gute gewünscht, dann gestritten und geschlagen“, erzählt Michael Prinz. Inzwischen hat ein Beamter seinen höhenverstellbaren Tisch nach oben gefahren und nimmt die Anrufe jetzt stehend entgegen. Das beugt Rückenprobleme vor. Drei Stück davon gibt es in dem Saal. Teilweise in Eigeninitiative gebaut. Bei 42 Arbeitsplätzen nicht gerade üppig. Bei Marcus von Possel sind inzwischen drei Fahrraddiebstähle, ein Wohnungseinbruch und zwei Verkehrsunfälle eingegangen und an die andere Seite des Raumes weitergeleitet worden. Von hier werden die Funkwagen zu den Einsatzorten geschickt. 130 sind zur Zeit im Einsatz. Auch nicht gerade viel für eine Dreieinhalb-Millionenstadt. „Jede Stunde wechseln wir die Plätze. Von der Notrufannahme rüber zur Einsatzvergabe und wieder zurück. Zwischendurch haben wir eine Viertelstunde bildschirmfreie Arbeitszeit. Theoretisch...“ erklärt von Possel. Gearbeitet wird an vier Bildschirme gleichzeitig. Auf dem linken werden alle berlinweiten Einsätze angezeigt, in der Mitte der aktuelle Fall bearbeitet, am rechten der Stadtplan gezeigt und auf dem Schreibtisch ein kleiner Schirm mit dem aktuellen Anruf. „Auf dem Stadtplan können wir die ungefähre Position des Telefons feststellen. Manche Anrufer sind so aufgeregt, dass sie uns nicht einmal erklären können, wo genau sie sind. Sagt einer, er sehe eine Sparkasse, kann ich mit einem Knopfdruck alle Sparkassenfilialen anzeigen lassen und sofort den Standort bestimmen. Wir sind eine der wichtigsten Abteilungen. Wenn wir unsere Arbeit nicht richtig machen und nicht so viele Details und Hintergründe wie möglich erfragen, kann beim Einsatz eine Menge schief laufen. Doch so sehr sich jeder Kollege auch bemüht, die Technik ist in einigen Bereichen noch recht steinzeitmäßig. Während in der Feuerwehrleitzentrale ein Knopfdruck genügt, um sich mit uns kurz zu schließen, müssen wir dagegen immer noch zum Telefon greifen und anrufen.“
Marcus von Possel ist ein Mann „zum Anfassen“. Nicht wirklich, aber er vermittelt Vertrauen und Kompetenz. Er ist Kumpel, Freund, Helfer und Seelsorger zugleich. „Bei uns gilt noch der alte Spruch: Die Polizei, Dein Freund und Helfer. Viele Anrufer befinden sich in einer Ausnahmesituation, sind aufgeregt oder weinen sogar. Wie die Frau, die mit dem nagelneuen Auto einen Unfall baute und mich ängstlich fragte, wie sie das nun ihrem Mann erklären soll.“
Neulich rief ein Achtjähriger an, der ungewöhnliche Geräusche in der Wohnung gehört hatte. Possel ließ einen Wagen vorbeischickten. „Der Junge lief mit mir am Ohr durch die Wohnung und wir unterhielten uns über Schule und Fußball. Das lenkte ihn erstmal ab. Als es an der Wohnungstür klingelte, bat ich ihn nachzufragen, welche Funkstreife vor der Tür stünde. Erst als ich die richtige Antwort hörte, erlaubte ich ihm zu öffnen. Als Dank hat mir der kleine Kerl ein Bild gemalt.“ Auch die 13jährige Daniela war froh mit ihm zu reden. Sie war von einer Mädchengang aufgelauert und verprügelt worden. „Sie konnte flüchten und sich in einem Hinterhof verstecken. Ich blieb solange in der Leitung, bis der Funkwagen vor Ort war.“
Es rufen auch Menschen an, die ihren Freitod ankündigen, doch nicht alle wollen wirklich sterben. Für manchen ist es ein Hilfeschrei aus der Einsamkeit heraus. „Dann ist Zuhören angesagt, Verständnis für die Sorgen und Nöte haben. Dabei ergeben sich oft sehr intensive Gespräche, in denen die Anrufer die intimsten Dinge erzählen. Manchmal kommt Hilfe in letzter Minute. Vor Kurzem hatte eine Frau mit lallender Stimme angerufen. Sie hatte jede Menge Tabletten geschluckt und war nicht mehr in der Lage, ihre Adresse zu nennen. Über eine Handyortung war die Feuerwehr noch rechtzeitig dort und im Krankenhaus wurde ihr der Magen ausgepumpt. Sie überlebte.“
Wenn Marcus von Possel nach seinem Dienst den Großraum verlässt, ist er zwar geschafft, fährt aber mit dem Gefühl nach Hause, Menschen in Not geholfen zu haben. Und die wenigen, die ihn angepöbelt haben, hat er schon längst vergessen.
Tatra – mehr als nur eine Straßenbahn
Ende einer Legende
„Du bist echt blöd. So einen wie dich kann man nur schnell wieder vergessen. Du bist doch der Allerletzte.“ Die Rothaarige in den zerrissenen Jeans und dem luftigen Oberteil ist stinkesauer. Dann streckt sie dem Handy in ihrer Linken die Zunge raus und das Gespräch ist beendet. Das ansch
Tatra – mehr als nur eine Straßenbahn
Ende einer Legende
„Du bist echt blöd. So einen wie dich kann man nur schnell wieder vergessen. Du bist doch der Allerletzte.“ Die Rothaarige in den zerrissenen Jeans und dem luftigen Oberteil ist stinkesauer. Dann streckt sie dem Handy in ihrer Linken die Zunge raus und das Gespräch ist beendet. Das anschließende Bimmeln ihres Telefons in Form von Hundegebell ignoriert sie. Meine erste Fahrt mit der KT 4 D mit der Linie 37 wird zum Erlebnis der besonderen Art. Mir scheint, als würden einige Fahrgäste die Straßenbahn als verlängertes Wohnzimmer betrachten. Ein Pärchen, kaum älter als 17, knutscht hemmungslos herum. Der Typ mit dem Rollkragenpullover (30 Grad im Schatten), brummelt unaufhörlich vor sich hin. Zwei ältere Damen tauschen Kochrezepte aus und der Herr in Anzug, Krawatte und Aktentasche sieht aus, als befände er sich auf einer wichtigen Dienstreise. Am Ende des Wagens sitzt ein Opa mit seinem quengelnden Enkel. Ein Kinderwagen kommt, geschoben von einer Mutter mit zwei weiteren Kindern an der Hand. Einer hilft. So richtig bequem ist die Tatra für Kinderwagen, körperlich behinderte Menschen und ältere Leute nicht. „Das ist auch einer der Gründe, weshalb die Tatras bis Ende nächsten Jahres ausgemustert werden und nur noch im Notfall eingesetzt werden. Barrierefreiheit auf allen Strecken ist unser Ziel“, erzählt Straßenbahndirektor Klaus-Dieter Matschke. Seit zehn Jahren ist der 64 jährige Diplom-Ingenieur der Herr der Berliner Straßenbahnen. 220 neue Niederflurwagen wurden bestellt, die ab 2020 geliefert werden sollen und die nächsten 15 Jahre durch die Stadt rollen sollen.
Noch ein Jahr, dann geht die Tatra-Ära zu Ende. Dann werden die letzten Modelle von den Straßen geholt, verkauft oder ins Museum gestellt. Worüber Joachim Kubig sich riesig freut. Der heute 80jährige (ich bin zweimal 40) hat 1967 den Arbeitskreis Historische Straßenbahn gegründet und ist über jeden Neuzugang dankbar. „Sie rumpelten nicht mehr so wie die Vorgängerbahnen und waren der Liebling aller Straßenbahnbenutzer“, erzählt er. 40 Jahre Straßenbahner, da gibt es viel zu erzählen. Und Joachim Kubig hat eine ganze Mütze voller Erinnerungen. Da gab es die dickliche Frau mit den noch dickeren Einkauftüten, die einer Schaffnerin in einem unfreundlichen Ton befahl, sie solle ihr die Stufen der Tatra hochhelfen. „Meine Kollegin ärgerte sich über den herrischen Ton der Dame und meinte, sie solle auf die nächste Bahn warten, die hätte eine eingebaute Rolltreppe. Über diese schlagfertige Antwort kann ich immer noch lachen.“ Oder an einen anderen weiblichen Fahrgast, der die Stufen ebenfalls zu hoch waren. „Moment mal. Ich kurble ihnen die Stufen tiefer. Dann drehte ich am Rad, die Dame stieg mühelos und bedankte sich bei mir. Manchmal liegt es eben nicht an den Beinen, sondern am Kopp.“
Ich selbst bin ausgestiegen, auf die andere Seite gelaufen, warte sechs Minuten und steige dann in die Tatra der Gegenrichtung ein. Meine 2,70 fallen durch den Fahrkartenautomaten. Zweiter Versuch. Es klimpert wie am Einarmigen Banditen. Also fahre ich schwarz. Der Kasten hat schuld. Am Betriebsbahnhof Lichtenberg steige ich aus. Hier wartet Hartmut Gröschke auf mich. Der Blick aus seinem Bürofenster muss jeden Straßenbahnfan das Herz höher schlagen lassen. Ein Heer von Bahnen, so weit das Auge reicht. Eine Fahrlehrerin bildet den Nachwuchs aus, Fahrzeugdisponent Schumann rangiert. Ich lasse mir von Hartmut Gröschle das Erfolgsmodell Tatra4D erklären. Das KT ist tschechisch und steht für Gelenkwagen, die 4 für die Anzahl der Achsen und das D für Deutschland. Gebaut vom tschechoslowakischen Straßenbahnherstellers CKD Tatra. Zwischen 1975 und 1997 wurden 1801 Bahnen gebaut. Obwohl der Fahrzeugtyp für kurvenreiche bergige Strecken gebaut wurde, kamen die meisten von ihnen in Berlin zum Einsatz. Höchstgeschwindigkeit 65 km/h. „Kamikazefahrer würden es bergab auf achtzig Sachen schaffen“, lacht Hartmut Gröschke. Er selbst ist auch ein alter Tatrafahrer, der die tschechische Bahn über alles liebt. Sogar sein Dobermann Artax steigt schwanzwedelnd die drei Stufen hoch und freut sich über die Fahrt entlang der Müggelberge. „20 Minuten nur durch den Wald. Wo auf der Welt gibt es eine so schöne Straßenbahnstrecke?“
Die Idee für die Tatras entstand bereits in den Zwanziger Jahren, als die Straßenbahnen durch PKW und Busse Konkurrenz bekamen. Endes Zweiten Weltkriegs kaufte das tschechische Unternehmen dann amerikanische Lizenzen für den Bau von Straßenbahnen. Die ersten Tatras kamen auf die Schienen.
„1.700 Ur-Tatras wurden gebaut und die DDR kaufte 1.000 Stück zum Preis von je 400.000 DDR-Mark!“, weiß Ivo Köhler, ehemaliger Straßenbahnfahrer in Berlin. In seinem Buch „KT4-der Kurzgelenkwagen aus Prag“, beschreibt er die Geschichte von der Geburt bis heute.
Zwischen 1993 und 1997 wurde die Hälfte der Wagen modernisiert, knallgelb lackiert, verkauft oder verschrottet. Einige von ihnen fahren heute noch in Russland, Tallin, Bukarest oder wurden per LKW und Bahn vom Betriebshof Lichtenberg nach Almaty gebracht. Hier rumpeln sie im grellen BVG-Gelb durch Kasachstans größte Stadt und erfreuen sich großer Beliebtheit. Umgerechnet 40 Cent für eine Fahrt quer durch die Stadt. Die letzten Berliner Bahnen fahren als Linien 37, 67 und M5. Berlin hat das längste Straßenbahnstreckennetz Deutschlands mit 190 km Länge und über 800 Haltestellen und das drittgrößte der Welt.
Der ehemalige Fahre, Rangierer und Gründer des Vereins „Historische Straßenbahnen“ Joachim Kubig erinnert sich: „ Eigentlich wollte ich Pilot werden, erkannte sogar die einzelnen Flugzeugtypen am Geräusch. Als dann die Bomben fielen, war der Traum zu Ende.“ Als der Krieg zu Ende war, erinnert sich der heute 80jährige, kam seine Mutter angerannt und erzählte, die 83 fahre wieder. „Ich bin sofort hingelaufen und bestaunte die Bahn, die statt Fensterscheiben mit Pappe zugemacht war. Und, ich erinnere mich noch sehr genau an die Reklame...VIM putzt alles. Danach hat mich der Traum Straßenbahn nicht mehr losgelassen.“ Sogar sein privates Glück hat er der Straßenbahn zu verdanken. „Kurz nach dem Mauerbau kam eine junge Schaffnerin ins Depot. Mir sind fast die Augen rausgefallen. Sie war 17 und das schönste Mädel Berlins. Es war die Tochter meiner Kollegin Paula und zwei Jahre später haben wir geheiratet. Wir hatten das große Glück, gemeinsam Dienst machen zu dürfen. Das hieß meist, dass wir uns morgens ein Stullen schmierten (Leberwurst und Schmalz) und mit auf Tour nahmen. An der Endhaltestelle haben wir gemeinsam gegessen. Mit 59 bin ich in den vorzeitigen Ruhestand gegangen und habe endlich mehr Zeit für mein Hobby; Straßenbahnen. Leider ist meine Frau vor acht Jahren gestorben.“Es gibt Tatra-Fans, denen blutet bei jeder Ausmusterung Herz ihres „Liebling“ das Herz. Otto ist so ein er. Ich traf ihn an der Endhaltestelle 67. „Weeste, für mir jeht ne Ära zu Ende. Und so lange ick noch loofen kann, werd’ ick auch mit meiner Bimmel fahren. Zum Glück jibs immer noch ein paar Jütijge, der mir die hohen Stufen ruff und runter helfen“, erzählt der 81jährige ehemalige Schlossermeister aus Pankow. „Ick erinner mir noch jenau an die glatten plastiksitze und wie die Türen beim Uff- und Zumachen richtig Lärm machten. Und dann das Jejaule beim Beschleunigen. Mann, wart det ne Wucht. Da konnte so manchet Auto nicht mitziehen.“
Wo der Geist der Ahnen wohnt
Wohnen und arbeiten im Rustikalen
Es gibt Menschen, die brauchen eine Wohnung mit wasserwaagengraden Wände und abwaschbaren Kunststofffenstern. Möglichst noch mit Fahrstuhl in den ersten Stock hinauf. Aber es gibt auch Menschen, die auf ihrem Sofa sitzen und sich weder an schiefen Wänden noch Fenstern mit Holzrahmen
Wo der Geist der Ahnen wohnt
Wohnen und arbeiten im Rustikalen
Es gibt Menschen, die brauchen eine Wohnung mit wasserwaagengraden Wände und abwaschbaren Kunststofffenstern. Möglichst noch mit Fahrstuhl in den ersten Stock hinauf. Aber es gibt auch Menschen, die auf ihrem Sofa sitzen und sich weder an schiefen Wänden noch Fenstern mit Holzrahmen stören. Statt lautlos über dicke Teppichböden zu laufen, haben sie viel lieber dicke Bohlen unter den Füßen. Der Kurier sprach mit Menschen, denen ein jahrhundertealtes Haus lieber ist, als ein Neubau und die keine Mühe bei der Sanierung scheuten.
Almuth und Ian Mc Williams
Wenn Almuth Mc Williams ans Putzen der 176 Fensterscheiben ihres Hauses denkt, kommt sie gehörig ins Schwitzen. Viel lieber beschäftigt sich die 37jährige nämlich mit dem Restaurieren edler Geigen. „Die vielen Fensterscheiben nehme ich jedoch gern in kauf. Denn so schön wie wir es hier haben, davon können andere doch nur träumen. Der Traum von Almuth und Ehemann Ian Crawford (36) steht in der Mühlentorstraße 9 in Brandenburg an der Havel. Ein barockes, einstöckiges Gebäude in ockergelb mit Fensterläden aus Holz. Ein 1775 erbautes Haus, das, als es die Mc Williams vor fünf Jahren kauften, mehr schlecht als recht in seinem Zustand war. Heute ist es das am besten sanierte Haus der Stadt und bekam die Auszeichnung „Denkmal des Monats Mai 2016“. „Hier waren liebevolle Hände am Werk. Man spürt, dass mit viel Zeit, viel Aufwand und viel Geschick restauriert wurde“, lobt Michael Knape, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Historischer Stadtkerne. „Wir haben vorher in Berlin gelebt aber während der Schwangerschaft beschlossen, der Hektik der Stadt zu entfliehen“, erzählt Ian Crawford Mc Williams. Der gebürtige Kanadier ist Geigenbauer und seine Violinen, Celli und Bratschen werden von Musikern in New York, Shanghai, Paris und Buenos Aires gespielt. In der Werkstatt auf dem Hof riecht es nach Holz, duftet es wie im Wald. Sägespäne auf dem Boden, ausgesägte Geigenböden an der Wand, Hobel und Feilen auf dem Arbeitstisch.
328 Kilometer durch die Hölle
Dienstag 15.15. Es ist heiß. So um die dreißig Grad. Die Luft in dem gelben Kleinwagen kocht. Die Klimaanlage hat ihren Geist aufgegeben. Die beiden Frauen im Auto schwitzen. Sie haben die dritte Flasche Wasser geleert. Der vor wenigen Minuten gefallene Regen verdampft auf dem Asphalt. Seit drei Stunden sind Cathrin S
328 Kilometer durch die Hölle
Dienstag 15.15. Es ist heiß. So um die dreißig Grad. Die Luft in dem gelben Kleinwagen kocht. Die Klimaanlage hat ihren Geist aufgegeben. Die beiden Frauen im Auto schwitzen. Sie haben die dritte Flasche Wasser geleert. Der vor wenigen Minuten gefallene Regen verdampft auf dem Asphalt. Seit drei Stunden sind Cathrin Schauer und ihre Mitarbeiterin Anna unterwegs. 89 Kilometer sind sie bisher gefahren, haben Kondome und Gleitgel an die Frauen auf dem Straßenstrich verteilt und mit ihnen gesprochen. „Nicht alle sind bereit mit uns zu reden. Viele haben Angst vor ihrem Zuhälter. Wobei Zuhälter auch oft weiblich sind und manchmal sogar die eigenen Mütter. Oft sitzen die in ihren Autos und beobachten das Geschehen. Da haben die Frauen, die oft minderjährig sind, keine Chance und wir fahren weiter, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.“ Liza hat aufgehört. Sie hat schon zweimal mit den Sozialarbeiterinnen von Karo e.V. gesprochen. Heimlich, als ihr Zuhälter das Geld ausgab, was sie hier täglich anschaffen muss. „Sie ist inzwischen ausgestiegen und wird in einer unserer Schutzwohnungen betreut. Das Mädchen ist vor zwei Monaten 18 geworden hat eineinhalb Jahre Hölle hinter sich.“
Wenn Cathrin Schauer über ihre Arbeit spricht, wird ihre Stimme leise und man spürt, wie betroffen sie nach 20
Jahren immer noch ist. „Daran kann sich keiner gewöhnen. Jedes dieser Schicksale ist eins zuviel. Doch unsere Gesellschaft und vor allem die Politiker verschließen oft die Augen vor der Wahrheit. Was nicht sein darf, gibt es auch nicht. Heute sind keine Langstreckenflüge nach Bangkok nötig. Zwangsprostitution, sexueller Kindesmissbrauch und verkaufte Kinder und Jugendliche haben wir vor der eigenen Haustür.“
Die Fahrt geht weiter, die Wasserflaschen sind fast leer. Wir sind in Cheb (früher Eger), einer Stadt nahe der deutschen Grenze. 32.256 Einwohner. Schöner Marktplatz, ein paar Cafes, hübsch restauriert Häuser. Hierher kommt Mann allerdings nicht nur, um die Romanische Kapelle zu bewundern, die Kaiserburg zu besichtigen oder den von Ernst Mosch gegründeten Egerländer Musikanten zu lauschen. Die Männer, die hier durch die Straßen fahren, suchen Sex mit jungen Frauen. Und sie werden fündig. An der Imbissbude, an der Tankstelle oder an der Ausfahrstraße E 49. „Viele von ihnen sind Deutsche auf der Suche nach minderjährigen Mädchen oder Kindern. Nicht alle sind pädophil. Es sind junge Burschen oder Familienväter, die auf einen Kick aus sind. Umso jünger, desto größer der Reiz. Sie sind hemmungslos und haben keinerlei Unrechtsbewusstsein. So geht es hier die ganze Strecke entlang der Grenze bis hoch nach Teplice, wo Mann nicht nur zum Kuren kommt...“, erzählt Anna. Der Kriminalpsychologe Adolf Gallwitz bezeichnete die Strecke entlang der Grenze einmal als das größte Freiluftbordell der Welt.
22 Kilometer weiter in Richtung Teplice stehen drei junge Mädchen. Auf den ersten Blick könnte man denken, sie kämen aus der Schule. Doch der zweite Blick lässt anderes vermuten.
Cathrin kennt die Mädchen. Sie hat schon oft mit ihnen gesprochen und Hilfe angeboten. Auch jetzt reicht sie wieder drei Packungen Kondome durchs Fenster. Aussteigen tut sie nicht. 20 Meter entfernt steht ein schwarzer BMW 320. Der Mann am Steuer sieht nicht nach Freund aus und die Sozialarbeiterinnen wollen den Mädchen keine Schwierigkeiten machen. „Die Dunkelhaarige links hat mir vor drei Wochen erzählt, die Deutschen wollen nicht, dass wir so viel anhaben. Sie wollen schon weitem sehen, was sie kaufen. Stellen Sie sich doch mal vor. Das erzählt mir eine Dreizehnjährige, die eigentlich noch mit Puppen spielen könnte. Ihr ganzes Leben ist dahin. Sie wird nur schwer darüber hinwegkommen. Wenn überhaupt.“ Ich höre Geschichten von einem Freier, der mal eben schnell für zehn Minuten Sex mit einer Minderjährigen kauft, während seine Frau im Supermarkt den Wochenendeinkauf einpackt. Die Frau kauft billig Brot, Salami und Räucherkäse. Er verabschiedet sich zum Billigtanken und zum Sex. Eine total verrückte Welt. Wir fahren an einer Gruppe Frauen vorbei, die im Abstand von 20 Metern auf Freier warten. Es sind keine Kinder mehr, aber auch nícht älter als Anfang zwanzig. Ein paar Kilometer weiter steht Jolanka. Wir halten an. Klein, zierlich, hängende Schultern. Offiziell ist sie 18. Wer kann das schon kontrollieren. Sie greift nach den Kondomen und den Erfrischungstüchern. Ihr Blick ist leer, nicht einmal mehr traurig. „Ich habe gehört, dass sie schon Dreijährige von ihrer Mutter geschminkt wurde und pädophilen Männern am Autofenster angeboten wurde. Dann wurde die Mutter verhaftet und Jolanka kam ins Heim.“ Jetzt steht sie hier und versucht zu überleben. Ich erfahre von Schlägen und Vergewaltigungen, von unglaublicher Brutalität und von Todesfällen. Aber auch vom Schutzhaus, das Karo e.V. Aussteigerinnen zur Verfügung stellt. „Wir haben sie an einem geheimen Ort untergebracht und sorgen für die Sicherheit der Mädchen, der Frauen und den missbrauchten Kindern.“
Zum Schluss erzählt Cathrin Schauer von einem14jährigen Jungen, der ihr erzählte, dass er später mal Zuhälter wird und ein paar Mädels für sich arbeiten lässt. „Aber so sieht die Welt in dieser Szene nun mal aus. Aus Opfern werden oft selbst Täter. Aber wir sind froh über jeden Jungen und jede Frau, die wir aus dem Sumpf rausholen können.
Nach zehn Stunden und 328 km mehr auf dem Tacho kehren Cathrin und Anna nach Plauen zurück. Bevor sie sich verabschieden, bleiben sie noch einen Moment im Auto sitzen und schweigen. Sie haben zuviel gesehen und gehört Jetzt ist jedes Wort zuviel...
Drogenspürhunde
Büroschlaf ist gesund hält fit und jung. Davon ist Maya überzeugt. Besonders dann, wenn die Arbeit erledigt ist. Hin und wieder ein Blick zu Klaus, der am Computer sitzt und Berichte tippt. Dann wieder Augen zu und weiterdösen. Maya ist 12 Jahre alt, von Beruf Drogenspürhund und eine hübsche Terrierdame. Fast ein Kilo Marihuana
Drogenspürhunde
Büroschlaf ist gesund hält fit und jung. Davon ist Maya überzeugt. Besonders dann, wenn die Arbeit erledigt ist. Hin und wieder ein Blick zu Klaus, der am Computer sitzt und Berichte tippt. Dann wieder Augen zu und weiterdösen. Maya ist 12 Jahre alt, von Beruf Drogenspürhund und eine hübsche Terrierdame. Fast ein Kilo Marihuana hat sie vor ein paar Tagen in der Neuköllner Hasenheide aufgespürt. Wert: 10.000 Euro. Nun kann sie sich ein wenig hinlegen und ausruhen. Maya ist einer von 13 Drogenspürhunden der Berliner Polizei, hat eine 40-Stundenwoche und zwei Tage frei. Außer wenn sie und Herrchen Klaus I. (51) 24 Stunden Rufbereitschaft haben. „Maya und ich sind seit fast zwölf Jahren ein Team und haben die erstaunlichsten Dinge gemeinsam gemeistert.“ Da war zum Beispiel der Verdacht auf eine Hanfplantage in einem Nordberliner Reihenhaus. Die Männer vom LKA stellten das Haus auf dem Kopf und fanden...nichts. „Doch dann kam Mayas feine Nase und schnüffelte in Richtung Sauna. Hinter der untersten Bank eine Tür und ein Gang, der in den Keller des Nebenhauses führte. Und siehe da...hier blühten die gezackten spitzen Blätter im schönsten Grün.“ Oder die Geschichte mit dem Mini. Drogenfahnder stoppten den Wagen und Mayas Arbeit begann. „Sie schnüffelte sich an der linken Zierleiste entlang und anschließend an der rechten. Für uns ein klares Zeichen, dass hier etwas zu holen war. Nachdem wir ein paar ,kleinere Umbauten’ am Wagen vorgenommen hatten, lagen 50.000 Euro Drogengeld mit Kokainspuren vor uns. Da gab es doch ein extra Leckerchen für meine Kleine.“ Mayas bester Freund heißt Snoopy und ist seit zwei Jahren Rentner. Doch zuhause ist es ihm zu langweilig und Polizeihauptkommissar Thorsten B.(49) bringt ihn täglich mit zum Dienst. „Ich habe ihn dem Polizeipräsidenten für einen Euro abgekauft. Snoopy hat fast sein ganzes Leben mit mir verbracht. Ich konnte ihn doch nicht einfach ausmustern lassen, wie es im Behördendeutsch heißt. Nur weil er nicht mehr gut riechen kann und laufen kann und Bluthochdruck hat.“ Nun genießt er seinen Lebensabend und schaut von Weiten zu, wie seine 13 „Kollegen“ nach Cannabis, Heroin, Amphetamine, Kokain, Heroin, LSD und Chrystal Meth suchen. „Unseren Spürnasen entgeht nichts. Nicht einmal Drogen in verschlossenen Blechdosen oder wenn sie in Plastiktüten eingewickelt sind. Die Geruchsmoleküle schweben wie eine Glocke über den Stoff und erfreuen jeden Drogenspürhund. Sogar eine im Nutellaglas versteckte Haschplatte entging meiner Wendy nicht“, erzählt Polizeihauptkommissarin Tanja (34). „Meine Schäferhündin (28 Kilo) und ich sind seit mehr als drei Jahren ein gutes Team. Nach einer halben Stunde schnüffeln, lass sie ein paar Minuten Pause machen. Das erfrischt und bringt neue Kraft.“
Damit alles so gut klappt, werden Frauchen/Herrchen und Hund 18 Wochen lang ausgebildet. „Wir verbinden Spiel- und Beutetrieb der Tiere, werfen mit verschiedenen Drogen präpariertes Spielzeug weit weg und lassen es suchen. Als Zeichen, dass sie es gefunden haben, wird gekratzt. Das nennen wir aktives Suchen. Im Gegensatz zum Bobensuchhund, der besser nicht kratzen sollte. Dafür werden sie mit Leckerchen belohnt.“
Doch nicht alles was nach Spiel aussieht, macht auch wirklich Spaß. Stundenlange Suchaktionen, Fahrten ins Umland, Nachteinsätze und verdreckte Einsatzorte, bringen Frau, Mann und Hund oft an ihre Grenzen. „Nach einem Einsatz auf einen mit Taubenmist und Milben verseuchten Dachboden, stelle ich mit Maya erstmal unter die Dusche. Und oftmals ist es für unsere Tiere auch nicht ungefährlich. Die Dealer vergraben rund um ihre Dogenbunker (Loch im Erdboden) Rasierklingen und Spiegelglasscherben, um unsere Spürnasen abzuschrecken.“
Dann kommt PHK Klaus I. zu einem anderen Thema und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Maya und Snoopy spitzen die Ohren. „Das Land Berlin denkt, wer Spaß an seiner Arbeit hat, der muss nicht belohnt werden. Jeder Hundeführer braucht ein großes Auto, um die Hunde-Boxen zu transportieren. Auf dem Polizeigelände gibt es keine vernünftigen Zwinger, um die Tiere unterzubringen. Wir müssen sie während der Dienstzeit im Auto lassen. Das finden sie schlicht und ergreifen langweilig und fangen an zu bellen. Jetzt haben sich sogar einige Anwohner über den Lärm beschwert.“ Die Schmutz- und Fresszulage von rund 70 Euro ist auch nicht gerade hoch. Und die wird auch noch gestrichen, wenn sie mit dem Diensthund in den Urlaub fahren. Ideal sieht anders aus. Apropos Urlaub. „Als ich letztes Jahr zum Wandern in Österreich war, fing Maya plötzlich an zu schnüffeln und hatte ein Drogendepot gefunden. Ihre feine Nase lässt sich eben im Urlaub nicht abstellen. Aber die Gendarmerie freute sich über Mayas Einsatz.“
Doch nicht nur die Spürnasen untereinander mögen sich. Auch bei Frauchen und Herrchen kann es schon mal „funken“. So wie bei Thorsten B.: „Sie ist ebenfalls Hundeführerin und wir haben uns bei gemeinsamen Suchaktionen kennengelernt. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, unsere Hunde mochten sich auch und seit einem Jahr sind wir verheiratet.“
Drogenspürhunde
Büroschlaf ist gesund hält fit und jung. Davon ist Maya überzeugt. Besonders dann, wenn die Arbeit erledigt ist. Hin und wieder ein Blick zu Klaus, der am Computer sitzt und Berichte tippt. Dann wieder Augen zu und weiterdösen. Maya ist 12 Jahre alt, von Beruf Drogenspürhund und eine hübsche Terrierdame. Fast ein Kilo Marihuana
Drogenspürhunde
Büroschlaf ist gesund hält fit und jung. Davon ist Maya überzeugt. Besonders dann, wenn die Arbeit erledigt ist. Hin und wieder ein Blick zu Klaus, der am Computer sitzt und Berichte tippt. Dann wieder Augen zu und weiterdösen. Maya ist 12 Jahre alt, von Beruf Drogenspürhund und eine hübsche Terrierdame. Fast ein Kilo Marihuana hat sie vor ein paar Tagen in der Neuköllner Hasenheide aufgespürt. Wert: 10.000 Euro. Nun kann sie sich ein wenig hinlegen und ausruhen. Maya ist einer von 13 Drogenspürhunden der Berliner Polizei, hat eine 40-Stundenwoche und zwei Tage frei. Außer wenn sie und Herrchen Klaus I. (51) 24 Stunden Rufbereitschaft haben. „Maya und ich sind seit fast zwölf Jahren ein Team und haben die erstaunlichsten Dinge gemeinsam gemeistert.“ Da war zum Beispiel der Verdacht auf eine Hanfplantage in einem Nordberliner Reihenhaus. Die Männer vom LKA stellten das Haus auf dem Kopf und fanden...nichts. „Doch dann kam Mayas feine Nase und schnüffelte in Richtung Sauna. Hinter der untersten Bank eine Tür und ein Gang, der in den Keller des Nebenhauses führte. Und siehe da...hier blühten die gezackten spitzen Blätter im schönsten Grün.“ Oder die Geschichte mit dem Mini. Drogenfahnder stoppten den Wagen und Mayas Arbeit begann. „Sie schnüffelte sich an der linken Zierleiste entlang und anschließend an der rechten. Für uns ein klares Zeichen, dass hier etwas zu holen war. Nachdem wir ein paar ,kleinere Umbauten’ am Wagen vorgenommen hatten, lagen 50.000 Euro Drogengeld mit Kokainspuren vor uns. Da gab es doch ein extra Leckerchen für meine Kleine.“ Mayas bester Freund heißt Snoopy und ist seit zwei Jahren Rentner. Doch zuhause ist es ihm zu langweilig und Polizeihauptkommissar Thorsten B.(49) bringt ihn täglich mit zum Dienst. „Ich habe ihn dem Polizeipräsidenten für einen Euro abgekauft. Snoopy hat fast sein ganzes Leben mit mir verbracht. Ich konnte ihn doch nicht einfach ausmustern lassen, wie es im Behördendeutsch heißt. Nur weil er nicht mehr gut riechen kann und laufen kann und Bluthochdruck hat.“ Nun genießt er seinen Lebensabend und schaut von Weiten zu, wie seine 13 „Kollegen“ nach Cannabis, Heroin, Amphetamine, Kokain, Heroin, LSD und Chrystal Meth suchen. „Unseren Spürnasen entgeht nichts. Nicht einmal Drogen in verschlossenen Blechdosen oder wenn sie in Plastiktüten eingewickelt sind. Die Geruchsmoleküle schweben wie eine Glocke über den Stoff und erfreuen jeden Drogenspürhund. Sogar eine im Nutellaglas versteckte Haschplatte entging meiner Wendy nicht“, erzählt Polizeihauptkommissarin Tanja (34). „Meine Schäferhündin (28 Kilo) und ich sind seit mehr als drei Jahren ein gutes Team. Nach einer halben Stunde schnüffeln, lass sie ein paar Minuten Pause machen. Das erfrischt und bringt neue Kraft.“
Damit alles so gut klappt, werden Frauchen/Herrchen und Hund 18 Wochen lang ausgebildet. „Wir verbinden Spiel- und Beutetrieb der Tiere, werfen mit verschiedenen Drogen präpariertes Spielzeug weit weg und lassen es suchen. Als Zeichen, dass sie es gefunden haben, wird gekratzt. Das nennen wir aktives Suchen. Im Gegensatz zum Bobensuchhund, der besser nicht kratzen sollte. Dafür werden sie mit Leckerchen belohnt.“
Doch nicht alles was nach Spiel aussieht, macht auch wirklich Spaß. Stundenlange Suchaktionen, Fahrten ins Umland, Nachteinsätze und verdreckte Einsatzorte, bringen Frau, Mann und Hund oft an ihre Grenzen. „Nach einem Einsatz auf einen mit Taubenmist und Milben verseuchten Dachboden, stelle ich mit Maya erstmal unter die Dusche. Und oftmals ist es für unsere Tiere auch nicht ungefährlich. Die Dealer vergraben rund um ihre Dogenbunker (Loch im Erdboden) Rasierklingen und Spiegelglasscherben, um unsere Spürnasen abzuschrecken.“
Dann kommt PHK Klaus I. zu einem anderen Thema und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Maya und Snoopy spitzen die Ohren. „Das Land Berlin denkt, wer Spaß an seiner Arbeit hat, der muss nicht belohnt werden. Jeder Hundeführer braucht ein großes Auto, um die Hunde-Boxen zu transportieren. Auf dem Polizeigelände gibt es keine vernünftigen Zwinger, um die Tiere unterzubringen. Wir müssen sie während der Dienstzeit im Auto lassen. Das finden sie schlicht und ergreifen langweilig und fangen an zu bellen. Jetzt haben sich sogar einige Anwohner über den Lärm beschwert.“ Die Schmutz- und Fresszulage von rund 70 Euro ist auch nicht gerade hoch. Und die wird auch noch gestrichen, wenn sie mit dem Diensthund in den Urlaub fahren. Ideal sieht anders aus. Apropos Urlaub. „Als ich letztes Jahr zum Wandern in Österreich war, fing Maya plötzlich an zu schnüffeln und hatte ein Drogendepot gefunden. Ihre feine Nase lässt sich eben im Urlaub nicht abstellen. Aber die Gendarmerie freute sich über Mayas Einsatz.“
Doch nicht nur die Spürnasen untereinander mögen sich. Auch bei Frauchen und Herrchen kann es schon mal „funken“. So wie bei Thorsten B.: „Sie ist ebenfalls Hundeführerin und wir haben uns bei gemeinsamen Suchaktionen kennengelernt. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, unsere Hunde mochten sich auch und seit einem Jahr sind wir verheiratet.“
Zwischen hier und da ist nichts. Rein gar nichts. Professor Gungas Arme gehen weit auseinander. So als wolle er das Nichts sichtbar machen. Die Rede ist von seiner Reise in die Eiswüste der Antarktis. Das war vor drei Jahren. Da besuchte er die Georg-von-Neumayer III und untersuchte die Forschungsmannschaft. Er wollte wissen, wie sich der menschl
Zwischen hier und da ist nichts. Rein gar nichts. Professor Gungas Arme gehen weit auseinander. So als wolle er das Nichts sichtbar machen. Die Rede ist von seiner Reise in die Eiswüste der Antarktis. Das war vor drei Jahren. Da besuchte er die Georg-von-Neumayer III und untersuchte die Forschungsmannschaft. Er wollte wissen, wie sich der menschliche Körper bei kalten Temperaturen und dem ungewöhnlichen Tag-Nacht-Rhythmus verhält. Er suchte nach Veränderungen im Blut, nach hormonellen Schwankungen und wie die Psyche damit fertig wird. Aber er machte noch eine weitere, sehr praktische Erfahrung. „Ich sollte helfen, Container vom Schiff abzuladen. Und das bei Zehn-Meter-Wellen am Rand eines Eisbergs. Trotz Minusgraden kam ich gehörig ins Schwitzen.“ Wenn Gunga erzählt, hat man das Gefühl einem Reisereporter zuzuhören. Und das ist er in bestimmter Hinsicht auch. Allein in den letzten Monaten ist er beruflich einmal um die Welt geflogen. China, Houston, Chile, Bolivien und Neuseelland. Seit 2008 ist Prof. Dr. med. Dipl. geol. Hanns-Christian Gunga, stellvertretender Leiter des Instituts für Physiologie der Charite und Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin und Extreme Umwelten. Allein die Titel vermitteln Ehrfurcht und lassen das Extreme ahnen, das in ihm steckt. Gunga und sein Team wollen wissen, was passiert mit einem Menschen in Extremsituationen? Wie reagieren Herz und Kreislauf, was passiert in den Knochen, warum bauen sich Muskeln in der Schwerelosigkeit ab und wie verändert sich die Psyche? Fragen, auf die der Forscher Antworten finden will. Teilweise findet er sie in Blutanalysen, kardiologischen Tests und in Gesprächen. Aber auch durch eigene körperliche Einsätze. Da sind zum Beispiel die Parabelflüge mit einem umgebauten Flugzeug. „Es geht steil rauf und kopfüber steil runter. In den 20 Sekunden des Falls wird der Körper, ähnlich belastet wie der eines Astronauten. Die ersten beiden Flüge waren recht gewöhnungsbedürftig. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.“ Der 60jährige mit dem weißen Haaren und dem Ein-Wochen-Bart ist eben nicht einer von denen, der seinen Studenten aus dem Lehrbuch vorliest. Das meiste von dem, worüber er redet, hat selbst erlebt. Er weiß wie sich extreme Kälte und 50 Grad plus in der Wüste anfühlen. Er robbte sich zusammen mit seinem Lehrer Prof. Kirsch durch 60 cm enge Gänge durch Afrikas Goldminen. In 1800 Meter Tiefe, bei 48 Grad Hitze und 100% Luftfeuchtigkeit. Ein Mann mit gesundem Selbstvertrauen. Nur auf ein Motorrad kriegt in keiner. Das sei ihm zu gefährlich. Da lässt der Professor auch nicht mit sich reden. Mars und Mond hat er noch nicht besucht. Aber wer weiß... Bei den vielen Reisen bleibt wenig Zeit für die Familie. Die steht in vier Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch. Seine Jungs sind 19, 20 und 21 Jahre alt. Genau das richtige Alter für große Experimente. Wir schauen oft durchs Teleskop und fragen uns, ob dort oben Lebewesen gibt – oder suchen gemeinsam Fosslien im Schwäbischen Jura.
Der junge Gunga trampte nach dem Abi gleich nach Marokko. Seine Eltern schlugen die Hände über den Kopf zusammen. „Ich kam aus einem Pfarrhaushalt und meine Mutter war Psychiaterin. Ich habe gelernt, offen zu sein und meine Eltern tolerierten viel. Doch für meine Reisepläne gab es nur Kopfschütteln. Denn damals fuhr man nur aus einem einzigen Grund dorthin. Und der hieß Gras. Ich aber wollte das Land erkunden, Abenteuer erleben, fotografieren und Vorträge halten. Damit finanzierte er sich weitere Reisen, für das Studium kamen die Eltern großzügig auf. Während andere kellnerten oder als Weihnachtmänner Glöckchen läuteten, genoss er die große weite Welt.
Nach der Geologie kam das Interesse für die Paläo-Physiologie der Dinosaurier. Wieder breitet Professor Gunga die Arme aus. Diesmal um zu zeigen, wie gigantisch diese Lebewesen waren. „Ich arbeitete in Zentralspanien zur Geologie der Montes de Toledo und zur Frühgeschichte des Erde-Mon-System auf der Rückseite des Mondes mit APOLLO 15 Aufnahmen – in beiden Fällen mit Hilfe von Photogrammetrie, Satellitentechnik und digitaler Bildverabeitung. Diese Technik kam mir bei der Rekonstruktion der Dinosaurier zur Hilfe“. Die Liebe zu den Dinos ist bis heute geblieben und manchmal besuche ich den Saurier im Naturkundemuseum.“ Nach dem Abschluss des Medizinstudiums kam die Frage. Was nun? „Wissen Sie, im Leben sind manche Beziehungen wie Drehtüren, die kann man nicht zuschlagen, sie öffnen sich wieder zu gegebener Zeit – Andere fallen wie Türen einfach zu..“
Tattoos und Piercings hat er keine. Obwohl man das bei einem Extremforscher wie ihn fast voraussetzen könnte. Dafür trägt er einen beigefarbenen Leinenanzug, weißes Hemd und eine sechsfach geknöpfte Weste. Ein Hut macht das Bild perfekt. Ein wenig extrem muss eben sein. „Ich bin neugierig und will die Dinge um mich herum begreifen. Ich denke oft, das kann doch nicht alles gewesen sein. Es gibt soviel zwischen Weltall und den Tiefen des Ozeans, dass es vermessen wäre, sich nicht zu wundern.“ Zum Beispiel darüber, dass die Bahn mit ihren vielen Verbindungen, Kreuzungen und Umsteigemöglichkeiten immer wieder da ankommt, wo er gerade hin will. „Meine Frau ist Sprecherin der Bundesbahn und hat mir das Zusammenspiel der vielen Puzzelteile erklärt. Die Logistik, die dahintersteckt, ist gigantisch – und die beförderten Personen - pro Tag 7 Millionen - ist für mich nahezu unvorstellbar. Seitdem gehe ich mit Verspätungen sehr gelassen um – es kommt eben auf die Perspektive an.“ Die größte Sorge bereitet ihm zur Zeit der weltweite Temperaturanstieg und die damit verbundenen Hitzetoten. „Allein die Hitzewelle in Europa 2003 hat über 50.000 Menschen das Leben gekostet. Globale Klimaerwärmung – auch nur um zwei Grad – bedeuten in manchen Regionen der Erde wie z.B. Indonesien 50% weniger Produktivität. Das heißt, die Menschen haben weniger zu essen, verhungern und verdursten. Es wird Kriege um Wasser und Nahrung geben. Dieser Kreislauf muss gestoppt werden.“
Für die Flüge in den Weltraum hat Gungas Team ein Gerät entwickelt, das die Körperwärme misst. „Das ist besonders bei Außenbordeinsätzen wichtig. Vorn die knallende Sonne mit 200 Grad plus und im Rücken 180 Grad Minus. Ein Gerät, das schnell erkennt, wenn der Körper überhitzt ist lebenswichtig. Auf der Erde, endet jeder zweite Hitzschlag tödlich.“ Für die Raumfahrt entwickelt, auf der Erde eingesetzt. Ein geniales Gerät für Bergleute und für Feuerwehrleute im Hitzestress. Auch neue Therapien für Langzeit-Bettlägerige sind durch die Forschung an Astronauten entwickelt worden. „90% der Weltraumfahrer klagen über Schmerzen an der Wirbelsäule. In der Schwerelosigkeit schwinden die Muskeln und Knochen - Weltraummediziner haben spezielle Trainingsgeräte entwickelt, die diese Vorgänge verhindern oder zumindest abschwächen sollen, Jede Generation sollte der nächsten etwas zum Weiterdenken hinterlassen. Nur so geht die Welt voran.“ Für Professor Gunga scheint manchmal die Zeit stillzustehen. Da spielt es keine Rolle, ob das, was er heute erforscht, auch sofort seinen Nutzen beweist. Alles braucht eben seine Zeit. „Vor 120 Jahren wurde von dem Physiologen Nathan Zuntz in der Invalidenstraße das erste Laufband gebaut. Heute ist es aus keinem Sportstudio und bei keiner sportmedizinischen Untersuchung mehr wegzudenken. Es hat Millionen Jahre gedauert, bis die Lebewesen das Wasser verließen und mit der Lunge atmeten. So ähnlich ist es auch heute. Wir haben die ersten Schritte in die Tiefen des Weltalls gemacht. Bis wir uns da oben häuslich eingerichtet haben, werden allerdings noch etliche Jahre vergehen.“
Ach ja, Professor Gungas extremste Herausforderung war das Finden seiner Ehefrau. Er lacht und aus dem 60jährigen wird ein verschmitzter Junge. „Den geeigneten Partner zu finden ist nicht leicht. Wir haben es geschafft und das macht mich froh und glücklich. Denn es gehört viel Verständnis dazu, diese Extreme zu tolerieren.“